Seit die stadt sich ablaicht
und ihre häuser verstößt
ziehn wir dahin ich geh mit
verdammten und halt mich erlöst
In wie viel sterbenden städten
war es daß ich saß
igel gebraten in lehm und
ratten gemächlich aß
Ich sah sie gingen zu paaren
über die brücke rott*
Mit ging ich nacht in den augen
ein abgemagerter gott
Der wind schliff uns die hälse
schrubbte die fleische neu
Das schwarz ließ schnuppen* unter
flüchtig januarscheu
Mir lauerte eine auf die
noch wuchs im jungen gesträuch
Ging sie neben mir fühlte
ich ihr stahlgraues zeug
Sie empfängt die gefangnen
im keller der himmel sieht
ihr schrei ist ein binsenmesser
das pessachlamm stolpert im ried
So tritt sie aus löchrigen häusern
am strick den kaninchenbalg
Die einwohner gehn mit gesichtern
wie ungelöschter kalk
Tage aus faulholz und aas und
nach abschluß des scheelen geschäfts
verhext sie das haus pentakel
sprüht sie aus lederner lefz
Tage aus sand und mangroven
wege auf treibholz und karst
korallenbänke aus abfall
wo du gelegen warst
Schweißspur vor kurzem begangen
kadaver die sich bemühn
jahre aus reif verflackernd
himmel über uns grün
Über die rinne feix ich
dörfer im silbernen wind
langsamen sprung ich ahne
daß unten kinder sind
die wachen um ihre tiere
Feuer ist ihnen das licht
funkenflug ihnen der neuschnee
maske die haut im gesicht
Unter der straße kriechen
kinder mit stahlzahn heran
die tragen granitene schulpe*
und fassen sich unverschämt an
Wir krallen uns in die nächte
wenn uns ihr bongo erpreßt
Sie bitten uns legt euer fell ab
Wir gehn in die erde zum fest
Schiefbekieferte tiere
schließen uns auf und das
hat uns gelassen begattet
am hals weiß aussatzfraß
wegab die buckligen hütten
derer die fielen vor zeit
die rauchen den regen in nestern
bis daß der himmel sie freit
Wir fällen und fallen dörfer
verbrannt die wege gekiest
Die geister lassen nicht zu daß
die wunde harzt und sich schließt
Unterdessen keimen
djungel auf ungeschlacht
die schwärenden wunden der kolke*
brüllen auf in der nacht
Wolkenabgründe offen
keime im stein atmen schwer
Zwei wie bärlappsporen
ziehn unter wildgänsen her
Die trockenheit bedeckt mit
heilendem löß der südost
Schieferplatten mahlen
gift zu balsam im frost
Allein auf klippenbrocken
laufen wir weiß ohne mund
über die kahlen strände
an den kimmerischen* sund
Zuletzt in der hochnacht haben
wir die pleiaden entdeckt
wo die rote katze
die salzigen wasser leckt
***
Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2019
HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.
Weiterführend →
Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.
Anmerkungen:
rott = „verrottet“
schnuppen = „abzgl. stern-“
schulp = „seetierpanzer“, sonst: Skelett einer kleinen Tintenfischart, wird Wellensittichen u.a. Käfigvögeln gerne zum Schnabelwetzen gegeben
kolk = „rabennest“, sonst: sumpfiges Wasserloch auf einer Viehweide, natürlicher Tümpel; in Meeresnähe bisweilen Spur, Überbleibsel eines Deichbruchs
kimmerier = „griech. volk am nebelrand der welt“