VORSTELLUNG DES WELTUNTERGÄNGERS

Er ist ein bessergestelltes tier

und er trägt noch schimmernde häute

Er tut als wäre womit er verkehrt

sein umgang   nicht seine beute

Auf trödelmärkten treibt er sich rum

verkauft denen die sie nicht kennen

die angst   sie könne umgestülpt

wie zucker die schleimhaut verbrennen

Er ist im umgang mit bürgertum

von der lautlosen art der verderbten

verschwindet sobald man ihn durchschaut

geschmeidig von den enterbten

Oft sieht man ihn frostig mit kaltem gebiß

auf parties in bücherhallen

Dort sammelt er die propheten ein

die aus der rolle fallen

Wenn er mit frauen spricht fäßt er sich weich

an der schulter und lächelt schief

als wäre das die letzte nacht

da er mit ihnen schlief

Er hat in den nächten nach pelzen geschrien

nun schreit er nach fleisch und blut

Er sagt: kommt es schlimm könnt ihr mit mir ziehn

und er sagt: seid vor mir auf der hut

Er trägt keine maske zum maskenball

doch setzt sie nach mitternacht auf

So warnt wer ihm ins nasenloch sah

daß man zu schnell bei ihm kauf

Er hat kleine mädchen geduldig verführt

und geblasen auf okarinen*

und doch liegt er gern unterm himmel allein

um auch dem himmel zu dienen

Des abends wenn er kaninchen fing

und kinder in unzucht gebracht hat

kann es sein daß er an ein mädchen rührt

und sich heulend ins dunkel gemacht hat

Sie haben die mutter im fenster getäuscht

mit einer anorakscheuche

Ein ganzes leben spült ihn nicht weg

den abend im brombeergesträuche

Und wenn er weitab von den wegen liegt

und weiß daß sie ‘hm nicht mehr glauben

dann grinst es aus ihm wobei nägel sich fleisch

aus den faulenden zähnen klauben

***

Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2019

HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

Anmerkungen:

Musikrezitation

okarina = kleine Tonflöte