›Simulierte Echtzeit‹

Torkel S. Wächter hat für sein Literatur- und Kunstprojekt 32 Postkarten im Netz veröffentlicht. Diese 32 authentischen Briefkarten, allesamt in Hamburg in der Sütterlin ähnlichen Deutscher Schrift verfasst und in den Jahren 1940/41 nach Schweden versandt – die letzte vor dem Holocaust. Auf den Tag genau 70 Jahre, nachdem die erste dieser Karten geschrieben wurde, wurde diese am 29. März 2010 online gestellt. Die folgenden Karte wurde in simulierter Echtzeit jeweils am Tag ihrer Datierung ins Netz gestellt. Die Karten hatte Wächter auf dem Dachboden im Nachlass seiner Eltern entdeckt. In den letzten zehn Jahren hat Wächter den Nachlaß seines Vaters durchgesehen, Deutsch gelernt, Zeit in verschiedenen Archiven verbracht und Menschen getroffen, die ihm von dem erzählten, wonach er nie fragte. Er habe neue Freundschaften geschlossen und Verwandte kennengelernt, von denen er nie zuvor gehört hatte. Ihm ist klar geworden daß Dinge, die verloren gingen, nicht für immer fort sein müssen.

Fortsetzung des verdienstvollen Projekts

Den Weg in die Nazi-Diktatur zeichnet Torkel S. Wächter im Internet nach: Er erzählt die Lebensgeschichte seines jüdischen Großvaters Gustav Wächter in seinem Online-Projekt On this day eighty years ago. 1933 ernannte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die so genannte Machtergreifung der Nationalsozialisten war der Beginn des sogenannten Dritten Reiches. Die verheerende Bilanz der zwölfjährigen totalitären Herrschaft ist bekannt. Etwa sechs Millionen Juden ermordeten die Nazis in den Konzentrationslagern. Der Angriffs- und Vernichtungskrieg, den das Deutsche Reich von langer Hand plante und der mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann, forderte bis 1945 geschätzte 60 Millionen Todesopfer. Wie ein ganzes Volk – von wenigen Ausnahmen abgesehen– zu Tätern oder doch zumindest zu Mittätern werden konnte, darüber streiten sich Historiker, Psychologen und Soziologen bis heute.

Da das Netz nichts vergißt, sind solche Dokumentationen sehr verdienstvoll.

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Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.