Vorbemerkung der Redaktion: Vor zehn Jahren starb Fabian Kulterer, ein Original im österreichischen Kunst- und Literaturbetrieb, Dichter und Aktionskünstler, Lebenskünstler.
Die beiden eigenartigsten, um nicht zu sagen skurrilsten Dichter, die mir je begegnet sind, waren „der Kulterer“ und der Zoltan Vér. Beide waren in der Szene bekannt. Kulterer als lebende Legendenfigur, der einmal die „Eröffnungen“ herausgegeben, Ezra Pound“ besucht und sich im Dunstkreis des „Wiener Phantastischen Surrealismus“ (Ernst Fuchs) bewegt hatte. Die Dissertation des Dr. Fabian Kulterer über die Haus- und Hofnamen des Jauntales in Kärnten, Umfang ca. 900 Seiten, habe ich einmal bei einem meiner vielen Aufenthalte in Kärnten querdurch gelesen. Die Dissertation ist ausgezeichnet, mit Details bis ins Kleinste überhäuft, von einer bald ermüdenden Endlosigkeit eines bienenfleißigen Feldforschers. Eine wissenschaftliche Karriere an irgendeinem Universitätsinstitut wäre ihm damit sicher offen gestanden. Aber so etwas verschmähte der Kulterer. Er hat sich lieber der Kunst, der Literatur zugewandt. Ich weiß nicht, ob der Kulterer je etwas jobmäßig gearbeitet und wovon er also gelebt hat. Niemand weiß das. Jedenfalls tauchte der Kulterer überall in der Szene auf, auch bei Vernissagen, eine Zeitlang in Begleitung seines (auch schon längst verstorbenen) Freundes Werner Schneider. Geschrieben hat der Kulterer anscheinend nie etwas, vielleicht irgendwelche experimentelle Gedichte oder andere Texte, publiziert hat er in seinem ganzen Leben nichts, soweit ich informiert bin. Er hat mir aber einmal ein Buch von sich gezeigt, ein schmales Bändchen, in dem auf jeder Seite nur ein Satz bzw. der Teil eines Satzes stand; das ganze Büchl bestand also aus einem einzigen Satz. Skurril, so eine Publikation in seiner Bibliographie zu haben! Der Kulterer war absolut gescheit und gebildet, und zwar umfassend, und hatte ein großes fundiertes Wissen, auf dem Gebiet der Literatur ebenso wie auf dem der Malerei, der Kunst überhaupt, der Philosophie. Er war sowieso ein Lebensphilosoph. Gespräche mit ihm waren anregend, ein Hin und Her im Geben und Nehmen. Der prägnanteste Ausdruck eines abgesicherten Bekenntnisses von ihm war sein Spruch: „Heast, Jolly, das ist aber wirklich so und nicht so.“ Damit war alles gesagt; für ihn jedenfalls. Da gab es dann kein Nachfragen mehr, kein Infragestellen, das war so wie es war und aus. Was das mit dem „Jolly“ auf sich hatte, weiß ich nicht, ich habe ihn nie danach gefragt. Wahrscheinlich hätte er sowieso nur gesagt: „Heast Jolly, des is halt mit dem Jolly so, wie es is!“ Der Kulterer lebte mal da, mal dort. In Wien sah man ihn zuletzt ganz selten. Auffallend war sein Kleidungsstil, ein Mix aus längst vergangenen Stilrichtungen und Utensilien. Und er trug einen Schnauzbart, später dann einen langen weißen Bart, wie es sich für einen Gelehrten, einen Privatgelehrten des 19. Jahrhunderts oder der Zeitlosigkeit geziemt. Er war eine auffallende Erscheinung. Er tauchte immer irgendwo unvermutet und überraschend, meist zum Schluß einer Veranstaltung auf. Dann begann sein Vortrag für all jene Gesprächspartner, die seinen Weg zufällig kreuzten. Alte Bekannte und Freunde – so wie mich – begrüßte er herzlich, ja fast überschwenglich. Er fragte sofort, wie es einem geht. Er wußte alles und erinnerte sich an kleinste, längst der Vergessenheit anheimgefallene Details. Er vermittelte glaubwürdige Anteilnahme. Ein skurriler, aber von mir geschätzter Freund. Eine Persönlichkeit – von ganz besonderer Art.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010, von Peter Paul Wiplinger. Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010