Das Ende der Bescheidenheit.
Heinrich Böll
Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) ist die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Schriftsteller in Deutschland und Teil der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (früher IG Druck und Papier). Der VS mit Sitz in Berlin wurde am 8. Juni 1969 mit Unterstützung von Günter Grass, Heinrich Böll, Martin Walser und vielen anderen, als Zusammenschluss der Bundesvereinigung der deutschen Schriftstellerverbände, des Verbands deutscher Übersetzer und des Verbands deutscher Kritiker gegründet. Nach einem Mitgliederentscheid im Oktober 2015 änderte der Verband die ursprüngliche Selbstbezeichnung „Verband deutscher Schriftsteller“ in „Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller“. Die *-Sprache und das Majuskel-I mutet sich diese Aktivisten vielleicht zum 100. Jubiläum zu.
Bei den Kollegengesprächen geht es nicht um die ausgelutschte Frage: „Warum Schreiben Sie?“, sondern um die Frage: „Wie Schreiben Sie?“ Sie wird in fast jedem Gespräch, das in dieser Reihe geführt wird, beantwortet.
Zwischen 1995 und 1999 hat A.J. Weigoni im Rahmen seiner Arbeit für den VS Kollegengespräche mit Schriftstellern aus Belgien, Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz geführt. Sie arbeiteten am gleichen „Produkt“, an der deutschen Sprache. Die Publikation ist zum 30. Jahrestag des VS erschienen. Eines der wichtigsten Medien, die Aufschluß über Intentionen, Erfahrungen und Einstellungen von Autorinnen und Autoren gibt, ist heute beinahe völlig verschwunden. An die Stelle der Briefpost ist weitgehend die elektronische Mail getreten. Der Briefwechsel aus der Reihe Kollegengespräche demonstriert die kommunikative Bedeutung einer untergegangenen Kulturtechnik. Diese Dialoge sind zugleich literarische Dialoge und dialogische Literatur, wir lesen Dialoge der Schriftsteller auf die Spur dieser Beziehungen und Interaktionen in doppeltem Sinne. Die Kollegengespräche sind eine lesenswerte Parallelerzählung zu Biografie und literarischem Œuvre. Was die positive Resonanz der VS-Arbeit beim Publikum, in den Medien und die länderübergreifende Beachtung der Initiative von Weigoni angeht, konnte der VS sehr zufrieden sein. Was die menschliche Seite angeht kaum. Ein Kleinstverleger aus Düsseldorf bot Anfang 1998 Kollegen des VS unter Umgehung des Honorarvertrags und bei ungeklärtem Copyright eine Publikationsmöglichkeit gegen ein (1 sic!) Belegexemplar an! Für die Etikettierung „Druckkostenzuschussverleger“ mußte sich Weigoni vor Gericht verantworten. Der Kleinstverleger verlor.
Gegen wen streiken Schriftsteller?
In dieser Situation zeigte sich, dass der VS zu einem Senioren–Club geworden ist, zu wirklicher Solidarität nicht fähig, weil er tagein, tagaus von Konkurrenzneid getrieben wird. Den einzelnen Mitgliedern geht es oft genug nur darum, ihre Pfründe abzusichern. Unter diesen Umständen mutet die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft nahezu schizophren an. Daß man mit jüngeren Kollegen nichts zu tun haben will, versteht sich fast von selbst: „Mit vorbildlichen literarischen Leistungen. Vorwärts zum 50. Jahrestag der BRD!“ Da meinte man den gespenstischen Nachhall einer untergegangenen Ideologie zu hören. Einen so extremen Unwillen wie in Deutschland, Dinge an die nächste Generation weiterzugeben, kennt man aus keinem anderen europäischen Land. Da steckt eine Kälte, eine Aggression dahinter, die stutzig und traurig macht. Man merkt deutlich, wie eine Generation von „freiberuflichen Beamten“ die Macht nicht aus den Händen geben will. Ihre Gestaltungskraft erschöpft sich darin, durch geschickte Klientelpolitik den eigenen Einfluß zu sichern. Zum 50. Jahrestag geht es dieser Interessenvertretung nicht anders als den Altparteien der BRD, die nachgeordnete Untergruppe der „Dienstleistungsgewerkschaft“ VERDI braucht eine neue Zukunftserzählung oder sie erleidet das Schicksal der Landsmannschaft Schlesien.
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Um den Bücherberg nicht zu vergrössern war dieses Buch als Printing on demand erhältlich. Die digitalisierten Daten konnten abgerufen und in kleineren Stückzahlen gedruckt werden.
Dieser Band war als bibliophile, limitierte Vorzugsausgabe erhältlich über: Ventil-Verlag, 55116 Mainz
Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche zuerst ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) setzen diese Reihe in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.