Das beste Album, das die Buzzcocks nie gemacht haben

Before we do a song, I make sure that song is going to stand the test of time.

Pete Shelley

Anlässlich ihres 40-jährigen Jubiläums erscheint die Neuauflage des ersten Single-Kompilation der Buzzcocks, Singles Going Steady. Dieses Album wurde von den Originalbändern neu gemastert, es ist ein absolut großartiges Andenken für alle alten weißen Männer, die sich daran erinnern wollen, was es für ein Gefühl war, in die Luft zu springen und sich auf dem Scheitelpunkt gegenseitig gegen die Schulter zu checken.

1978 wurde Punk wurde bereits für obsolet erklärt, eine gescheiterte Revolution, deren anfänglicher Schock sofort in zahme Selbstparodie übergegangen war, man höre nur die Möchtegern-Revoluzzer von The Clash. So schnell wie Punk aufkam, begannen eine Menge Bands, sich vom Rock-Punch des Punks abzuwenden und sich dem geschmeidigeren New Wave zuzuwenden. Die ursprüngliche Bewegung schien damit zufrieden, eine flüchtige Sache zu sein, eine Granate, die explodierte und nur Splitter hinterließ. Den Sammlern von Singles ist es überlassen, diese Bruchstücke aufzusammeln und wieder zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen, dass man eine sinnstiftende Erzählung nennt.

Eigentlich war Singles Going Steady ein Album, das in Nordamerika veröffentlicht wurde und als Einführung in die Band für das amerikanische Publikum gedacht war. Es fiel mit einer Tournee durch die USA zusammen. Seite eins der Originalveröffentlichung des Albums enthielt in chronologischer Reihenfolge ihre acht britischen Single-Veröffentlichungen bei United Artists Records von 1977 bis zur Veröffentlichung von Singles Going Steady im Jahr 1979, während Seite zwei ihre entsprechenden B-Seiten enthielt, ebenfalls in chronologischer Reihenfolge.

Mit Abstand betrachtet hatten die Buzzcocks von Beginn an nicht den Wunsch, eine typische Punkband zu sein. Mit Wendigkeit und Mut wechselten sie vom sarkastischen Knurren ihrer Debüt-EP Spiral Scratch – ihrer einzigen Studioaufnahme mit Howard Devoto, einem weiteren Überläufer vom Punk zum New Wave, als Leadsänger – zu ihrer ersten Single „Orgasm Addict“ von 1977. Das Lied wurde von Shelley und Devoto gemeinsam geschrieben, aber von Shelley in seiner neuen Rolle als Frontmann gesungen. Der Kontrast war auffällig. Statt Devotos Spiral Scratch-Höhnen, das einstudiert und nachahmend wirkte, war Orgasm Addict mit Shelleys munterem Schluckauf ausgestattet, einem jungenhaften und erfrischenden neuen Sound im Punk.

Die Buzzcocks waren das Gegenmittel zu dem, was damals als „Punkismo“ bezeichnet wurde – vier Männer, die ein neues, differenzierteres Bild von Punk-Männlichkeit projizierten, während Shelley die zwanghaften Freuden der Masturbation pries. Tatsächlich war es Shelleys kindische Hymne auf das Wichsen, die Buzzcocks sofort so frisch wirken ließ. Was wie eine weitere absichtlich beleidigende Punk-Tirade wirkte, war in Wirklichkeit ein krasses Eingeständnis der Verletzlichkeit. Die zugrunde liegende Botschaft des Songs ist subtil, aber unbestreitbar: Einsamkeit kann auf den Kopf gestellt und als befreiende sexuelle Energie genutzt werden. Die Buzzcocks waren mit dem selbstveröffentlichten „Spiral Scratch“ Pioniere der Punk-Unabhängigkeit, aber Orgasm Addict war eine andere Art von DIY.

Shelley wurde 1955 als Peter McNeish geboren, als Sohn von Arbeitereltern in Lancashire, die ihren Lebensunterhalt in den Baumwollspinnereien und Kohleminen verdienten, für die die Industriestadt bekannt war. Mit der nerdigen Kühnheit eines frühreifen Arbeiterkindes wählte er seinen Bühnennamen nach seinem Lieblingsdichter der Romantik, Percy Bysshe Shelley. Die Romantik war nicht das angesagteste Thema in der britischen Punkszene der 1970er Jahre, ebenso wenig wie Literatur in irgendeiner Form. Aber als seine Punkkollegen sich gefühlsbetonte oder satirische Pseudonyme wie Strummer, Rotten und Poly Styrene zulegten, griff Shelley in seine Schulbücher und suchte sich einen Namen, der später sein weiches und schlagendes Herz symbolisieren sollte.

Singles Going Steady ist voller Liebeslieder, die durch die Wucht und Verzerrung des Punks dringlich und rau wirken. Dies verstanden, was nur wenige ihrer Kollegen begriffen: Während die Liebeslieder in den 1970er-Jahren immer kitschiger wurden, verlangte Punk nach einer neuen Rohheit und Glaubwürdigkeit, wenn er sich überhaupt mit der Liebe befassen wollte. „Romanze“ lässt sich nicht ohne „Ramone“ buchstabieren und es ist kein Zufall, dass ihre Musik ihren New Yorker Gegenstücken viel zu verdanken hat. Die Buzzcocks allerdings ließen das Biker-Image und den kitschigen Horror der Ramones hinter sich und tauschten stattdessen den Charme des Jungen von nebenan und die alltäglichen Sorgen der Verlorenen.

Kompilierte Alben meist die unheimliche Fähigkeit, das Ende der Relevanz einer Band, wenn nicht sogar das Ende ihrer Lebensdauer, zu signalisieren. Die Tatsache, dass Buzzcocks nur zwei Jahre nach Beginn ihrer Plattenkarriere eine Anthologie von Singles veröffentlichten, ließ Singles Going Steady – trotz des fröhlichen Wortspiels seines Titels – weniger wie einen Triumph als vielmehr wie einen Grabstein erscheinen. Dies ist zudem eine Zusammenstellung, die auf einen Schlag hilft, die Inkonsistenz der anderen Alben zu verzeihen und verdeutlicht, wie viel der Pop nach den Buzzcocks dem Sänger und Songwriter Pete Shelley. Indem sie die traditionellste aller Beat-Gruppenformationen verwendeten und ihre Aufmerksamkeit auf die elementarsten Überlegungen richteten, schufen Shelley und die Buzzcocks Pop von einer so intensiven Wahrhaftigkeit, dass es buchstäblich wehtut. Man höre nur Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve?). Wer da kein Pipi in die Augen bekommt, der war als Jugendlicher nicht unglücklich verliebt. Und danach auch nicht. Auch in 2019 bezeichnete hören wir diese Zusammenstellung als Musterbeispiel für Songwriting über den Schmerz und die Freude der Liebes sie ist eine der liebenswertesten, intimsten und tadellosesten Ohrwürmer im Bereich der Liebeslieder oder des Punkrocks darstellt. Unerwiderte Sehnsucht, zerbrochene Bindungen, x-beinige Schüchternheit, voreilige Erklärungen euphorischer Verliebtheit: Shelley liefert all dies mit flotten Melodien und täuschend komplexen Akkordfolgen auf Augenhöhe mit den Kinks.

Congratulations, Mr. Shelley, yours songs stand the test of time.

 

 

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Singles Going Steady, Buzzcocks, 1979 (Wiederveröffentlicht 2019)

Die Fabe-4 des Punk

Weiterführend  Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch eher der Garagenrock? – Lässt sich davon der verschwitzte Proto-Punk der New Yorker Proll-Combo ableiten? Oder hatte der testosterongesteuerte Punk gar eine Ur-Mutter? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Albums. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist, als die Band, die ihn produziert hat. Dies ist das beste Album, das die Buzzcocks nie gemacht haben. Kaum ein Song beschreibt den beginnenden britischen Punk besser als „Oh Bondage Up Yours!“. Es ist ein Zeichen von Chuzpe, wenn sich eine von Männern dominierte Szene, eine Combo von Frauen The Slits nennt. Waren die Pistols die erste Boy-Group? Johnny Rotten predigte Anarchie, The Pop Group praktizierte sie. PiL has his future in a British Steel. Klingt die Trostlosigkeit des Rust Belt nach Punk oder Industrial Folk? Gegen Fresh Fruit for Rotting Vegetables hört sich alles andere wie Pop an. – Weitere ungelöste Fragen: Stellen die The Ruts mit einem Album das Lebenswerk von The Clash in den Schatten? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? Thrash Metal ist das Resulthat der Verschmelzung der Energie und Geschwindigkeit des Hardcore Punk mit den Techniken der New Wave of British Heavy Metal. Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk hätte werden können.