Ein junger Alligator, den ein von seiner Ehefrau getrennt lebender Mann in eine Holzkiste packte, um ihr per Post das Reptil, mit dem er sie in Anspielung auf ihre Neigung, im heftigen Zank nicht nur mit Worten zu beißen, sondern auch mit den Zähnen, erschrecken und im günstigsten Fall verletzen wollte, erfüllte den Zweck seiner Reise so wunderbar, dass manche schon an eine Fügung glaubten, nachdem Zufälle hinzutraten, die daran erinnern, wie manchmal eine Rechenaufgabe trotz falscher Rechnung zum richtigen Resultat gebracht wird, so wie im gewöhnlichen Leben auch oft Gutes gemeint ist aber böse endet, und umgekehrt. In diesem Fall passierte beides zugleich, es kommt darauf an, von welcher Seite man es sieht.
Auf einem Postamt in der City von Milwaukee, wo der Mann in der Zeit, als der Terrorismus das Bewusstsein der Welt beherrschte, die Kiste als Express Mail nach Colorado Springs aufgab, fiel den Angestellten nichts auf, obwohl die lebende Fracht, korrekt als Tiersendung deklariert, deutlich zu groß war. Der Alligator, der fast ausgehungert in der Kiste steckte, hatte Luft zum Atmen, konnte sich aber in der Enge kaum bewegen. Der gekränkte Ehemann stellte sich vor, wie das Tier beim Öffnen der Kiste mit weit aufgerissener Schnauze seiner Frau ins Gesicht sprang. Er wollte zurück beißen, und wenn dadurch ihre Schönheit, die der einzige Grund seiner Liebe war, zerstört würde, hätte sich der ganze Aufwand gelohnt. Er wollte sie nicht töten, aber wenn sie durch Multiplikation widriger Umstände, angenommen etwa, die Echse zerschnitt ihr mit den scharfen Zähnen die Halsschlagader, den Tod erlitt, wollte er auch nicht traurig sein.
Sie erhielt die Kiste in der Hitze des Tages, als sie gerade kalt geduscht hatte. Die schöne Frau wickelte den nassen Körper, während sie zur Tür lief, schnell in das große weiße Tuch, das sie mit einer Hand über der Hüfte festhielt, ließ den Postboten ein und sah aufmerksam zu, wie der kräftige Mann die schwere Kiste durch die Zimmer in den Wintergarten trug, wo sie den Inhalt im Angesicht der weiten Äste des blühenden Magnolienbaums in aller Ruhe auspacken wollte. Sie sperrte die Fenster des Wintergartens weit auf, atmete Blüten und holte, um die Kiste zu öffnen, Hammer und Zange aus dem Schuppen im Garten. Sie schaute nur kurz durch die Äste des Baums nach oben in die Sonne, sodass sie nicht die schnellen Steine bemerkte, die durchs Gegenlicht ins Nest der Hornissen im hohlen Seitenast der Magnolie schossen. Als sie sich dann über die Kiste beugte und sie öffnete, glitt das weiße Tuch vom Körper – da schlug der Alligator das Holz der Kiste, der Deckel flog in die Luft, in diesem Augenblick schwirrte der erste Hornissenschwarm durchs Glas, und mit offenem Rachen sprang das hungrige Tier ins Freie. Zum Glück stand die Frau so hoch über dem weiß gezackten Schlund, dass das Tier nach den Beinen schnappte und sich im Oberschenkel festbiss, während die Hornissen, als die Frau aufschrie und – sie streckte den Alligator mit einem einzigen Hammerschlag nieder und schleuderte seinen Leib durch die splitternde Glasfront in den Garten – entkräftet zusammensank, dicht über dem weißroten Steinmosaik anflogen und sofort nach dem Aufprall des Schädels auf dem Steinboden sich in die weiße Haut der Liegenden bohrten, die nun gelbschwarz flackerte. Da schoss schon der nächste Schwarm heran, zwischen die Beine, genau in die Wunde, und wieder ein Schwarm, der bedeckte das ganze Gesicht.
Ich gehe dahin, immer am Rand der Steilküste, und hinter mir bricht der Boden weg, das ganze Gestein meiner Zeit, egal wie schnell ich gehe. Da kommt der nächste Schwarm. Schwarzgelb der ganze Leib. Der Fraß der süßen Säfte. Und rechts und links an meiner Seite tut sich auch schon der Abgrund auf. Vor mir seh ich die scharfe Kante, zwar noch wie von weitem, aber das sind nur noch Schritte. Das kracht so laut hinter mir weg. Das rohe Fleisch der Jahre fällt in die Tiefe. Meine Augen tun mir weh. Ich schäume auf in diesem Meer von Salzsäure hinter mir und neben mir. Wenn ich hinunterschaue, brennen mir schon die Augen. Ich schau nicht hin.
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Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006