wohnräume der poesie

peter engstlers lyrikband »Manzanita cut up« steht in der tradition der amerikanischen beat-literatur. rolf dieter brinkmann, der einem nüchternheit gegen alles pathos vermitteln kann, dürfte ihn ebenfalls angeregt haben. der titel geht auf besuche in kalifornien zurück, wo der autor durch ein mehrere meter hohes, undurchdringliches schwarz purpurn gefärbtes dornengebüsch namens manzanita, das zum barrikadenbau taugen würde, dazu angeregt wurde. spanisch manzana heißt apfel, manzano apfelbaum, manzanilla kamille oder kamillentee. die laubblätter des heidekrautgewächses manzanita werden ebenso wie die kamille als heilmittel verwendet. womöglich hat man aber auch das wort für apfel auf den strauch übertragen. die blüten von manzanita sind ähnlich rosa und weiß gefärbt wie apfelblüten. im titel könnte also gemeint sein, daß ein apfel, vielleicht sogar anstelle eines auges, filmschnittartig zerschnitten wird.

engstlers schreibart liegt ein nachdenken über denkarten und denktechniken zugrunde. er vermeidet herkömmliche kausalitäten und läßt vielmehr eindrücke und bedeutungen einander auf augenhöhe begegnen. wo die üblichen hierarchien nicht mehr gelten, werden auch deren werturteile zweifelhaft. indem seine fragmenthaften gedichte sprachliche und denkerische reglements und konventionen unterwandern und aufbrechen, richten sie sich gegen gesellschaftliche normierungen insgesamt, jene des literaturbetriebs inbegriffen, dem immer dort zu mißtrauen ist, wo er literaturfremden maßstäben folgt. der postmoderne mensch überschätzt verwertungen. der wirkliche wert der literatur besteht meist unabhängig davon.

den unterwanderungen entspricht ein unkonventioneller stenogrammartiger schreibstil. der autor arbeitet mit sprachlichen reduktionen. und dazu gehört, daß er ohne satzzeichen und seitenzahlen auskommt. das außerkraftsetzen der herkömmlichen sprachregeln verarbeitet erfahrungen, bei denen sprache entweder keinen halt mehr gab oder mißbraucht wurde, und folgt der erkenntnis, daß sprachregelungen das denkvermögen einschränken können. umgekehrt fordern ungewöhnliche sprachliche mittel den leser zum gründlichen lesen und damit nachdenken heraus.

engstlers wortzeichen bilden wirklichkeiten und deren wahrnehmung strukturell ab. man findet hier parallelen zu bildender kunst, die das kunstwerk auf strukturen und formen reduziert. seine gedichte bestehen aus wortreihen und wortfeldern, deren benennungen beim leser assoziationen anregen. man muß die dinge, scheint es, nicht mehr ausführlich beschreiben, damit sie kenntlich werden. die filmisch anmutende abfolge von wörtern, die sich gegenseitig berühren, und das assoziative denken beschleunigen die wahrnehmungen und entsprechen damit einem dynamischen denkprinzip. »Nur / in Bewegung durch Aktion entfaltet sich Beginn«. manche gedanken wirken aphoristisch, wie »Affe im Weltraum bedeutet Schlachthaus im Innen« oder »Mensch verhält sich / zu Erde wie Schein zu Sein«. bei einigen gedichten denkt man, der autor hätte aus ihren motiven in seiner verknappenden sprache auch epigramme oder haikus machen können. aber das wären dann wieder vorgegebene formen.

andererseits findet man durchaus konkrete und sinnliche beschreibungen: »Teller rot grün braun totes Laub auf Erde Tritt mit / Zweigen Fingern Herz im Schwarm Sehen Spiel Licht / auf gestrecktem Arm dahinter prägend Sein Nebel / Äste Schweigen Blatt war Dunkel Schritt spricht / Geräusch Glocken dieser Platz ein Stein Unter / Maulbeeren schimmernd Kiefernhaut«, daneben bruchstückhafte bildwelten: »Suchen Orientierung in Wiese gefüllt Herbstzeitlosen / Anderes macht sich breit wird alles ändern Beeren / blaue schwarze Kugeln Wiese Vieles wird Leer / Im geschnittenen Feld Wunde Durch Nebel Geflecht / eines Schattens Wollgras Leuchten Zweige Äste / an Mauern gespiegelt wie ging das es war einfach / Blätter regneten Blatt zerstörte Mauer Gitter Licht.«

***

manzanita, Gedichte von Peter Engstler. Brueterich, Berlin 2017

Weiterführend →

Die Würdigung des Hungertuchpreisträgers Peter Engstler finden Sie hier.