Kam ein kleines kraftwerk hat man friedlich demonstriert
wurden ihnen schlag auf schlag vier neue attestiert
Wer empfing mit cocktails die befragungskommission? das
waren die bewohner der befragten region
Bald kommt das atomkraftwerk und da gibt’s arbeit basch*
Weil da noch fabriken stehn so schließen wir sie rasch
Wer hat da gefragt c’est ça was wär nun aber wenn? das
waren die von dieser Front Communes des Ardennes
Nicht gebaut das kraftwerk werde! sagte Herr Tonton
Nun ist’s bald das teuerste an fünf millionen franc
Wer saß in Paris und hatte alles voll im blick? das
war der präsident unsrer geliebten republik
Die COGEMA sagt allez es ist ja dort nichts los
Barrikaden standen an der straße von Chooz
Wer hat da des nachts die eisenbahnwaggons verschweißt? das
war ein arbeiter der dort nur mehr Herr Niemand heißt
Plötzlich liefen die maschinen in Vireux nicht mehr
Das war am aktionstag und man wunderte sich sehr
Wer verbot die demonstration vor der Mairie? das
war der bürgermeister mit gendarmengarantie
So kann das nicht weitergehn! ein anschlag gab’s bekannt
Nachts hat doch die meute einen landsitz abgebrannt
Wer hat nur das feuer untrer villa angemacht? das
war die vom direktor nää wer hätte das gedacht
Machten sich die Bauarbeiter auf nach Charleville
wollten das archiv mal sehn das sie verscheißern will
Wer schmiß da zum fenster raus das nukleararchiv? das
waren die im reisebus nach denen niemand rief
Manche sagen hier wir kämpfen nur um unser brot
Wer die gegend hier nicht kennt der hält uns schon für tot
Wer hat da gesagt es ist nicht raus wer sich verbrennt? das
waren nur die leute von der Region la Pointe
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Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2019
HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.
Weiterführend →
Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon. Zur Lyrik von HEL findet sich hier ein Rezensionsessay von Holger Benkel. Ein faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier.
Anmerkungen:
Alles hier erzählte hat sich zugetragen; hab ich auch ne melodie zu
basch = „rotwelsch viel, genug, pläng“