KAMPFZEIT II – deutsches singspiel mit gehirnwäsche

I

Die alte flagge gewendet gehißt

und neuerdings aufschwungbewegt

anleihe zukunft   und Deutschland frißt

voll mit gedenken belegt

Da kriecht es aus löchern voll ledergeruch

ununterbrochen der tritt

vereint! im gleichschritt ein trommelnder zug

der scheckkartengeber schweigt mit

Links um! mit der zeit gehen

tritt gefaßt!

dem deutschen ist alles gleich

wir wollen noch mal

wir wollen noch mal

es zeigen der welt

unter kreißen und qual

das volksökologische

ökodynamische

grünbraun Growian

wiedervereinigte

tausendundneuesspiel

neuesglückreich!

II

Wenn ich dich seh bleibt mir das herze stehn

ich kann doch nicht zu dir herübergehn

Was uns verband das trennt zementnes band

wir lieben halb und halb ein vaterland

III

Volksgemeinschaft tut not

arbeitslose ann spaten

Es folgen die großen taten

auf immer dem großen tod

Die deutsche revolution

war die von dreiunddreißig

Wir gruben sappen* schon

unter dem aufbau fleißig

Die volksgemeinschaft der welt

wird ihre wurzeln graben

und sie wird recht gehabt haben

wenn alles in scherben fällt

Damals war Deutschland nur

von einem beseßnen betrogen

Jetzt schneidern neue montur

klügere ideologen

Vor dem großen tor

stehn die völker der erde

daß es nicht aufgetan werde

stehn wir mit äxten davor

Wir ließen reich und krieg

und konnten die weltmacht errichten

Sollen uns kurz vorm sieg

die fallenden riesen vernichten?

IV

Wir wollen die fremden gedanken nicht

wir wollen selber denken

Wir wollen mit dachsigem deutschem gesicht

die deutsche zukunft lenken

Wir wollen die fremden händler nicht

wir wollen selber handeln

wir wollen mit deutscher zuversicht

die weltwirtschaft verwandeln

Wir wollen die fremden raketen nicht

wir wollen eigene waffen

Wir wollen mit drohendem deutschem gesicht

den deutschen schrecken schaffen

V

Wurden sie auch von den völkern besiegt

sie wurden doch weislich gepflegt

haben vergessen bescheinigt gekriegt

und Care auf die zunge gelegt

wurden gemästet und angebeizt*

zu warten auf ihre zeit

Sie sind zum countdown aufgeheizt

sie sind zu allem bereit

Sie wollen noch mal

sie wollen noch mal

es zeigen der welt

unter kreißen und qual

sie legen sich noch mal ins zeug

die kathedrale will’s

zeigen dem kral

das ökodynamische

steinerunschamische*

endlichvereinigte

schießplatzgereinigte

türkenbereinigte

tausendundeinzige Roich!  dacapo am schluß

VI

Nationallüren

den 17er jägern und junionisten

Brüder kennt ihr noch die lieder

Maas bis Memel! ruft’s im chor

Panzer walzten freiheit nieder

heut in Polen sieht man’s wieder

Hör ich da: El Salvador?

Alle haben sich gefunden

die vom Reich vertrieben sind

Eine spricht von Schlesienwunden

krümperwagen*   schlamm und hunden

Schmerz und mauern machen blind

Keiner ist mehr zoffjetfresser

Heut tut man’s zur not mit Gruhl

und sie wissen’s wieder besser:

Falkland und Kabul am messer

jud und muselman: ein stuhl

Heute ruhen alte fehden

jeder hält den gleichen schritt

fahnen lieder   kalte reden

senf zur wurst dabei für jeden

korridor und Krimverschnitt

Lyrisch wird’s mit Kurlandbirken

und mit Dönitz national

fruchtbar wolln sie wieder wirken

raus mit negern und mit türken

deutsche mistet aus den kral

So die alten   so die jungen

kappen sich vom Nato block

und sie schrein aus Schrebers lungen

endesunbesiegtentsprungen:

setzt der welt den grünen schock!

um am rande zu betonen

Deutschland sei aufs neu vereint

sanfte technik und regionen

und die Dritte Welt nationen

deren völkern freiheit scheint

Aber glaubt nicht den parolen

die das schrummbesoffen* schreit

Zukunft wird die zinsen holen

Die aktiva sind gestohlen

aus den lagern vor der zeit

VII

Sie haben mit blick auf die industrie

von Hitler sich fein distanziert

nicht rechts wie man meinen könnt kommen sie

nein links herum frisch raffiniert

und haben auf intelligenz gesetzt

und machen den wendern was her

als ob die gefrorne masse jetzt

mit einem schlag aufgetaut wär

VIII

Sind wir auch müd und arbeitslos

wir blecken noch einmal die zähne

sind noch einmal im anschwärzen groß

gebt uns mal wieder den richtigen stoß

wir ziehn hinterher   va bene

Fraßen wir kohl beim wiederaufbau

wir fressen den kohl auch heute

daß er den hunger besser verdau

ist er auch faul   wir nehm’s nich genau

er bleibt doch der leithund der meute

Abgerissen aufgeschmissen

ham wir doch das letzte wort

Laßt uns alte sprüche hissen

laßt uns blank ziehn   ihr sollt wissen

wer da mensch bleibt kommt nicht fort

Bessere zeiten? von nebel erfüllt

lagst du gesponnen in watte

Jetzt wird wieder reveille gebrüllt

der hunger nach stullen mit schlamm gestüllt

wohl dem der vorgesorgt hatte

Dein glück du hast für den winter geranzt*

wir sind die kasernen am putzen

im schärferen wind   nun zeig was du kannst

ran an den feind   verhaue gepflanzt!

und lern deine ellbogen nutzen

Du sanfter   laß das umarmen sein

wer krupp ist macht seinen kauf

und hält den gewinn   du muß nicht schrein

wenn einer dich abkehlt*   nur wer allein

seinen weg geht kommt noch hinauf

Abgerissen aufgeschmissen

ham wir doch das letzte wort

Laßt uns wieder flagge hissen

laßt uns blank ziehn   ihr sollt wissen

nur die ratte kommt noch fort

***

Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2019

HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon. Zur Lyrik von HEL findet sich hier ein Rezensionsessay von Holger Benkel. Ein faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier.

Anmerkungen:

VI NATIONALLÜREN und VIII SIND WIR AUCH MÜD UND ARBEITSLOS von Harald Hartmann vertont, gibt es auf kassette; haben freie radios in Ost Belgien gesendet

sappe = „franz tunnelvortrieb zum burgeinnahmen“

angebeizt = „falken zur jagd ermuntert“

steinerunschamisch = „der Steiner – gschamig“

krümperwagen = „bollerwagen der vertriebenen“

schrummbesoffen = „schrabumboladenvolldergnaden“

ranzen = „ranz, paarungshitze bei dachs uä.“

abkehlen = „mit dem messer die kehle durchschneiden“