Born on the Bayou

I’d have said the right thing, but I must have used the wrong line

Dr. John

Als jugendlicher Musikhörer fiel mir eine Single mit dem Titel Right Place, Wrong Time in die Hände, es ist ein Song des Musikers Dr. John, der sich gelegentlich auch als Lebensmotto eignet. Die Musik faszinierte mich auf Anhieb, weil die Mischung aus Swamp-Rock, Rhythm & Blues, Voodoo, und kreolische Klängen durchtränkt von der Folklore seiner Heimatstadt New Orleans ist.

Auch John Rebennack Interessierte sich bereits als Jugendlicher sich für Rhythm & Blues.

Der junge Rebenack hatte eine Sehnsucht nach dem Anderssein und das French Quarter  gab ihm die Möglichkeit dies auszuleben. Mit The Spades gründete er eine High-School-Band, bei der Jerry Byrne (Lights Out) als Sänger mitwirkte. Als einer der ersten weißen Musiker spielte der junge Dr. John regelmäßig bei R&B-Sessions in New Orleans. Seine Heimatstadt diente ihm lebenslang als lebender musikalischer Steinbruch. Hier vermischte sich der europäische Stil mit dem aua Lateinamerika und afroamerikanischen Kulturen. Vor allem der Jazz mit Blechbläsern hat seine Wurzeln in New Orleans. Die Stadt ist ebenfalls bekannt für Rhythm & Blues, und auch Cajun und Zydeco-Musik ist vielerorts zu hören. Bis 1962 war Dr. John in New Orleans, dann in Los Angeles in verschiedenen Combos aktiv und an vielen Produktionen anderer Musiker wie bei Zappas Freak Out! beteiligt.

Voodoo und Bewußtseinserweiterung

Von all den Exzentriker, des Rock ist wahrscheinlich die schrägste Figur. Seinen ersten großen Erfolg hatte Dr. John 1968 mit Gris-Gris, einer recht unheimlich klingenden Mischung aus Voodoo-Zaubersprüchen, Rhythm and Blues und kreolischer Soul-Musik. In seiner Musik schwang immer die Schwüle des Mississippi Deltas mit, dazu unterschwellig auch eine archaische Mystik, die von seiner Faszination für den Voodoo-Kult seiner Heimat herrührte. Bereits seit seiner Kindheit war er von Zauberamuletten und nekromantischen Phantasien umgeben, die seinen Aussagen nach durch seine Familie animiert gewesen sein sollen. Seine Großmutter soll Telekinese beherrscht und beizeiten selbst durch den Raum geschwebt haben. Mit farbenprächtigen, pittoresken Bühnenauftritten stilisierte er sich als Dr. John (Creaux) the Night Tripper zu einer Ikone des Psychedelic. Einige seiner Rockliturgien erhielten dabei eine besonders hypnotische Spannung, da er seine Stimme bewusst heiser und mit Flüster- und Krächzsequenzen einsetzte, wie bei dem großartigen I Walk on Guilded Splinters.

Als „Gumbo“ wird ein Eintopf in der Karibik und dem Süden der USA bezeichnet. Es gibt ihn zäh und dickflüssig, aber auch suppenartig, und „Gumbo“ ist die beste Bezeichnung für die Musik von Dr. John.

Dr. John transzendierte den allgemein anerkannten Werte- und Verhaltenskodex aber auch jenseits des eigentlichen Schaffensprozesses im täglichen Leben in seiner Heimatstadt New Orleans. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie dieser Musiker. Mit Babylon, Remedies und The Sun, Moon and Herbs setzte er die Wiederbelebung und Aktualisierung der musikalischen Einflüsse seiner Heimatstadt fort. Wichtige Inspiration fand er auch auf dem Friedhof. Wegen der tiefen Lage von New Orleans und dem damit verbundenen sehr feuchten Boden gibt es in der Stadt keine herkömmlichen Friedhöfe, da Seuchen befürchtet werden. Seit 1830 werden die Toten in Mausoleen beerdigt; diese Cities of the Dead sind Anlass für Legenden. Die Stadt entwickelte ihre eigene Art der Begräbnisse. Ein traditionelles Jazz Funeral wird von einer Marching Band begleitet, die   auf das Jenseits ausgerichtete Musik auf dem Weg zur Beerdigung hin und fröhliche, weltliche Musik auf dem Weg zurück spielt. Einige Stilelemente der Bühnenfigur Dr. John gehen auf den 1963 verstorbenen Musiker Prince LaLa zurück, so findet sich auf dem Klavier ein Totenschädel. Auf dem Album Gumbo, kündigte sich Rebennacks Abwendung von seinem extravaganten Lebensstil an, die sich mit In the Right Place und Desitively Bonnaroo fortsetzte. Die folgenden Alben fanden nicht viele Käufer. Alle seine Versuche, sich juristisch gegen nicht autorisierte Aufnahmen (Anytime, Anyplace oder The Nashville Sessions) zur Wehr zu setzen, scheiterten. 1977 arbeitete er gemeinsam mit Van Morrison an dessen Comebackalbum A Period of Transition. Im Rahmen dieses Albums wirkte er als Arrangeur und Musiker mit. Im selben Jahr absolvierten die beiden eine Reihe gemeinsamer Auftritte, die in einem Fernseh-Special gipfelten.

Niemand hat mir mehr über Musik beigebracht als Dr. John – egal ob Rock, Rhythm’n’Blues, Soul oder Funk.

Jerry Wexler

Seine schöpferische Pause endete 1981 mit dem Erscheinen der Platte Dr. John Plays Mac Rebennack, einer Sammlung von Titeln, die der Musiker alleine mit seinem Klavier aufgenommen hatte. Seither veröffentlichte er in unregelmäßigen Abständen weitere Alben, die er fast ausschließlich selbst komponierte. Daneben arbeitete er mit zahlreichen Bluesmusikern wie Willy DeVille, aber auch mit Jazzmusikern wie Maria Muldauer sowie dem Rockmusikern Eric Clapton zusammen. Mit dem 1995 erschienenen Album Afterglow wurde seine Liebe zum Jazz deutlich; Jazz-Standards aus den 1930er- und 1940er-Jahren prägen das Album. Also wiederum ein Eintopf aus den verschiedensten Zutaten, früher Jazz aus New Orleans, die Musik der Brass-Bands und die kreolischen Klänge, die man besonders zu Mardi Gras, dem traditionellen Karneval in New Orleans, hörte. Dr. John hat den Rock’n’Roll zu seinen Voodoo-Wurzeln zurückgebracht. Was bleibt ist eine Stimme, die sich rau bis krächzend in bluesigen Sphären bewegt und sich hypnotische Voodoo-Beschwörungen zu eigen macht. Sie hallt nach…

Dr. John verstarb am 6. Juno. Nun finde ich erst die richtigen Worte, um ihn zu würdigen. Not the right time, but perhaps the right line.

 

 

 

Dr. John auf dem TFF.Rudolstadt 2011, Photo: Schorle

Weiterführend  Rhythm & Blues lebt davon, dass die Ambivalenz bewahrt wird. Dieses Album wurde veröffentlicht, als Country noch Country war, es gab kein Alternative, was das Rätsel aufgab, was genau man hörte. Die Cowboy Junkies nahmen Blues, Country, Folk, Rock und Jazz und verlangsamten es stark und schufen dabei etwas Neues. Wir betrachten die Geburtshelfer der Americana. Des Weiteren eine Betrachtung des tiefgründigen Folk-Songs: Both Sides Now. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Die Delta-Blues-Progression des Captain Beefheart muss dahinter nicht zurückstehen, eine gute Einstimmung für sein Meisterwerk Trout Mask Replica. Wir lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und dem letzten Werk der Doors. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Lauschen dem Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Und stellen die Frage: Ist David Gilmour ein verkappter Blueser?

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch. Daher auch schnellstens der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe