Ich weiß gar nicht soviel über das Nichts, wie ich dachte. Das wurde mir nach meinem Tod am Dienstag klar. Ich habe herausgefunden, dass das Nichts sehr groß ist. Es scheint sich endlos in alle Richtungen auszudehnen. Seine Textur besitzt keine besondere Textur, seine Gestalt hat keine besondere Gestalt. Ich rieche nichts Besonderes, das Licht ist flach und scheint keiner speziellen Quelle zu entspringen. Man kann nicht sagen, es gäbe einen Wechsel von Tag und Nacht. Und es gibt auch keine Wochen, Monate, Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende, kein Verlaufen und kein Verschwinden, kein Kalt oder Heiß, keinen Winter oder Sommer, kein Wetter. Offenkundig kommen Essen und Trinken im Nichts nicht vor, es gibt auch nichts zu sehen und keine Geräusche. Es gibt keine Einschnitte. Ich vertreibe mir die Zeit mit Denken, aber mir kommen keine besonderen Gedanken, es ist deshalb wohl eher so, dass die Zeit zum Zeitvertreib vergeht. Ich brauche keinen Terminkalender. Es lohnt sich weder vorauszuplanen noch vorauszudenken; wenn ich versuche, zurückzudenken, spüre ich träge Unbestimmtheit, die meinen Geist verklebt, so als ob genau konturierte Erinnerungen im dicken klaren Shampoo unbestimmter Menge versinken würden. Wenn ich jemals eine Persönlichkeit gehabt haben sollte, dann ist von ihr nicht viel geblieben, was an sich kein Problem ist. Wenn ich jemals Schmerzen gehabt, Kämpfe ausgefochten oder Siege errungen haben sollte, dann verlieren sie sich im Nebel und sind nicht mehr sonderlich wichtig. Sie könnten allesamt auch zu jemand anderem gehören. Wie spät ist es? Das spielt hier mitten im Nichts keine Rolle. Das wird noch eine Weile so weitergehen, deshalb lehne ich mich besser zurück und gewöhne mich daran. Ich lebe ge-wissermaßen für immer weiter. Das ist wohl gar nicht so übel. Ich entsinne mich einer Zeile, die ich einmal irgendwo gelesen habe: Was ewig lebt, wird früher oder später ewig schreien. Das klingt beängstigend, aber bisher ist alles unter Kontrolle. Es gibt hier gar nichts, über das zu schreien sich lohnen würde. Abgesehen davon, dass man manchmal vor Langeweile schreien möchte. Vielleicht wird es genau so in Gang gesetzt, das Schreien. Ich werde anfangen zu schreien, um mir so die Zeit zu ver-treiben, um wenigstens irgendetwas zu hören, eine Stimme, meine eigene. Und dann – nach einer Weile – wird sich in das Schreien auch ein bisschen echte Qual einschleichen. Und dann, noch ein bisschen später – aber wer weiß schon, wie lange später –, wird es sich zum totalen Terror aus voller Kehle steigern, der dann immer weiter und weiter geht und niemals wieder aufhört. Möglicherweise nimmt die Laut-stärke ab und variiert, doch grundsätzlich bleibt es eine unnachgiebige und permanente Sache, oder vielmehr zwei Sachen: das Nichts und das Geschrei. Die Sonne wird sich aufblähen und zum Roten Riesen werden, die Ozeane austrocknen und die Erde verbrennen; und dann wird sie verlöschen. Ich werde immer noch da sein, schreiend in der Dunkelheit. Das Universum wird sich immer weiter ausdehnen, bis schließlich jeder einzelne Körper den anderen unendlich fern sein wird, draußen, in einer unvorstellbar kalten Leere; und die Sterne werden verschwinden, einer nach dem anderen, und ich werde immer noch irgendwo da draußen diesen winzigen, durchdringenden Ton ausstoßen, der absolut wirkungslos bleibt. Ich sehne mich nicht gerade erwartungsvoll danach, es ist aber sinnlos, davor Angst zu haben. Vorerst ist es schließlich noch ein langer Weg bis dahin.
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Momus: Herr F. – Aus dem Englischen von Andreas L. Hofbauer, etk 054.
Der Teufel hat Herrn F ewigen Ruhm versprochen – im Tausch für seine unsterbliche Seele. Doch Herr F erkennt, dass das ewige Leben früher oder später in einen ewigen Aufschrei mündet, weshalb er beschließt, Glanz und Ruhm zu entsagen, ins Dunkel zurückzukehren und einfach zu sterben. Herr F ist eine Wiederaufnahme der Faust-Legende aus der Feder des berüchtigten Musikers und Schriftstellers Momus. Die experimentelle Erzählung über das Feilschen um Unsterblichkeit ist gespickt mit Ideen von deutschsprachiger Literatur, die weitgehend auf englischen Übersetzungen berühmter Künstler und Denker des 20. Jahrhunderts wie Brecht, Kafka, Rilke, Klee, Fassbinder und Adorno fußen. Natürlich stehen auch Goethe und dessen (um- und nachbearbeiteter) Faust Pate bei der Geschichte. Herr F wurde von Andreas L. Hofbauer aus dem Englischen übersetzt.