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Mein Name ist Dirk Völkl. Bin Caddie. Seit meinem 11. Lebensjahr. Zu der Zeit konnten sich meine Alten keinen Urlaub leisten.

»Komm’se mal ’n bissken an de frische Luft«, erklärte Mam, die den Greenkeeper kannte. Die ersten Sommerferien auf’m Fairway. Mitten inne Natur. Schöner als bei uns auf’m Spielplatz. Viele Bäume, Sträucher, Teiche. ‚Ne Unmenge von Hasen und Vögeln. Versteh‘ überhaupt nich‘, warum die Ökos immer so’n Trara um de Umweltverschandlung machen.

War in Sport immer ’n As. Konnte was wuppen. Hatte keine Problem, die schwere Karre durch’s Bergische zu ziehen. Lohnte sich. War gegen Ende der Ferien 1300 Mäuse reicher. Trinkgelder eingerechnet. Hat sich meine Mam unter’n Nagel gerissen:

»Bin schliesslich die Erziehungsberechtigte!«

Mam brauchte dat Geld für die Scheidung.

Fing als C–Caddie an. Gab damals noch keine öffentlichen Golfplätze. Die lokalen Häuptlinge ham‘ et nich‘ geschnallt, dat Golf echt Kohle inne Kasse bringt. War damals ’n Sport für die oberen 10.000. Mein Club war Hubbelrath. Die verlangten ’n horrenden Mitgliedsbeitrag. Selbst der reichte nie. Vitamin B war angesagt.

Hatte Glück. Arbeitete für Heiner Zelmer als Stammcaddie. Puschte mich in die B–Stufe. Kam so: Die Schlange im Sandbunker. Schlug für Zelmer zu. Sein Titleist im Bunker. Dort lag zufällig ’ne Papiertüte. War die Pille reingerollt. Schlug Zelmer vor, die Tüte anzuzünden. Tat er auch. Durfte den Ball straffrei weiterspielen. War ausser sich, weil er ’n Birdie spielte. Brachte ihm ’ne Flasche Schampus und ’n besseres Handikap.

Wurde zum B–Caddie befördert. Musste keine Bälle mehr auf der Driving Range einsammeln. Karl, der Caddie–Master, merkte mich für bessere Kundschaft vor. Besonders für die alten Ladies. Kamen immer am Vormittag. Konnte denen sogar raten, welches Holz oder Eisen. Musste nich‘ viel reden. Brauchte nur noch anzureichen. Fand jeden Ball. Jedes Tee. Bildete mich weiter. Las alles über Golf. Konnte alle 34 Regeln herbeten.

Heiner Zelmer förderte mich. Durfte als erster B–Caddie mit auf’n Turnier. War spannend. Zelmer legte als Longhitter die Bälle vom Abschlag extrem weit vor, landeten teilweise im Semi–Rough, also knapp neben dem Fairway. War wegen dem Klee fast unmöglich, die Bälle zu finden. Hatte den Adlerblick, deshalb nahm er mich wohl auch mit. Wenn der Golfball sein Ziel verfehlt und im dichten Strauchdickicht verschwindet, ist bei der Suche ein Golfball mit auffälligem Mantel in schrill–pink oder quietsch–neongrün nützlich. Manche können sogar auf Knopfdruck piepsen! In Hubbelrath verzichten sie auf so ’n Schnickschnack. Wir spielen mit dem weissen Klassiker. Allerdings hat die ursprüngliche Glätte des Balls wegen aerodynamischer Flugeigenschaften den Vertiefungen an der Oberfläche weichen müssen. Bringt ’n besseres Spielgefühl, ’ne höhere Geschwindigkeit und mehr Kontrolle. Die kann aber auch nich‘ verhindern, dass die Spieler am 18. Loch häufiger ihre Bälle im See versenken. Ich fisch‘ die Golfbälle mit ’nem Kescher wieder raus und geb‘ sie gegen ein kleines Trinkgeld an die Besitzer zurück.

»Lass deinen Körper den Swing ausführen!«, ist das Motto von Zelmer, der 5 Hole–in–one geschafft hatte, also fünfmal den Ball vom Tee weg mit einem Schlag in et Loch gespielt. Der Golfschwung ist ’ne Bewegung des ganzen Körpers, die Kraft kommt jedoch aus den Beinen. Zelmer ging immer auf den Big Draw los: Dat rechte Bein hatte er beim Schlag leicht zurückgezogen, so erhielt der Ball bei ihm ’nen Seitwärtsdrall und flog auf einer leichten Linkskurve. Normalerweise is‘ der erste Schlag an jedem Loch der Drive, mit ihm fliegt der Ball weit. Bei ’nem Paar–Loch sollte man mit dem Approach, also dem zweiten Schlag, auf dem Grün landen, damit man eine reelle Chance hat, dat Loch auch in vier Schlägen zu meistern. Jedes Grün wird durch Sandbunker, Bäche oder Teiche geschützt. Liegt der Ball genau vor dem Grün, gibt’s kein Problem. Liegt er jedoch seitlich, muss der nächste Schlag eines dieser Hindernisse überfliegen. Dazu muss man den Ball hoch oder mit Unterschnitt schlagen, damit er auf dem Grün nicht zu weit rausrollt. Jede dieser Situationen verlangt ’ne spezielle Schlägerwahl. Dat kannt‘ ich nach ’ner Weile. Man muss die Distanzen richtig abschätzen und auch das Grün lesen können. Eigentlich is‘ Golf easy, man schlägt den Ball zum Grün und locht dann ein.

War zu meiner besten Zeit fast ausschliesslich mit Heiner Zelmer unterwegs. Der alte Knabe war in guter Form. Lag an seiner Partnerin. Der Prinzessin von Thurn und Taxis. Scharfe Perle. Muss den Alten angemacht ham. Versuchte zu zaubern. Klappte auch, aber anders als geplant. Ein Ball landete im Dekolleté von ’ner alten Lady, die zuschaute. Zelmer musste nich‘ droppen. Dat kannt‘ ich aus’m Regelbuch. Der Backspin ist eine seiner Schwächen, aber den beherrschen ohnehin nur die Profis. Auch im Wind war Zelmer nich‘ besonders gut. Sein Ball hat die Tendenz, im Wind zu segeln. Kam noch schwieriger. Auf’m Grün war et vorbei, ob et daran lag, dat et auf exakt 3,23 Millimeter runtergeschnitten war? Oder war et falsch gewässert? Spielt man in Richtung des Schnitts, rollt der Ball schneller. Den Schnitt erkennt man am besten um das Loch herum. Hat man dat Grün im Gefühl, unterscheiden die Golfer zwei Schlagvarianten: Entweder man spielt direkt auf’s Loch, muss treffen, weil der Ball sonst zu weit rollt. Oder man spielt den Ball auf einer leichten Kurve gegen das Loch. Auch Bodenwellen und der Wind beeinflussen die Bahn eines Putts. Am 17. hat Zelmer normalerweise kein Problem. An diesem Tag spielte er ’n Doppelbogey… und redete fortwährend über seine Schläge, über grauenvolle Lagen, grossartige Befreiungsschläge, unglückliche Bounces, 280 Meter lange Abschläge, zehn Meter breite Drivezonen, grandiose Scores und furchterregende Spiegeleier im Sand… er hatte ’n Yips. Spooky. Hatte es vor den Händen, konnte es nicht greifen. Golf ist der einzige Sport, bei dem man nicht gegeneinander, sondern gegen den Platz spielt. Bekam die Pille einfach nicht in die 101,6 Millimeter tiefe Bodensenke. Dat machte ihn per se fertig. Hat elendich jeflucht:

»Welch ein schöner Tag. Welch eine schöne Umgebung. In welch guter Luft ich mich befinde!«, atmete aus. Konzentrierte sich. Zerbrach den Putter über dem Knie. Warf die Enden in den Bunker. Schritt beleidigt von dannen. Vergass mich zu bezahlen. Machte die Prinzessin. Schlug mich beim Heimatclub auch als A–Caddie vor. Weil sie ihm bei der Unterredung reichlich Koketterie und livrierte Unterhaltung bot, konnte Karl, der Caddie–Master, der Prinzessin den Wunsch selbs’verständlich nich‘ abschlagen.

A–Caddie is‘ ab–göttisch–gut. Bekam zu Weihnachten ’ne Clubjacke. Regenfest. Lernte die Stammvorgabe. Verinnerlichte Begriffe wie Slope System oder Course Rating. Bei der Auswahl des Pros achte ich auf Qualität. Wer Up–to–date sein will, setzt auf Titanium, klassischen Eisen–Look, superleichte Tragebags und Rain Flex–Handschuhe. Rutschende Schläger sind passé. Konnte Zelmer für einen neuen Putter aus Carbon–Stahl begeistern. Als Insert in der Schlagfläche schätzt er das extrem weiche Material, das auch die äusserste Schale der Softfeelbälle bildet. Der alte Herr kam in den dritten Frühling. Bekam das frühe Winkeln der Handgelenke in den Griff. Als kleiner Spieler muss Zelmer die zur Verfügung stehenden Kraftquellen nützen. Die Hebel sind kurz, deshalb müssen Rotation und Gelenke, in Verbindung mit der Schnellkraft, optimal arbeiten. In Verbindung mit der Rotation seines Körpers entsteht die perfekte Verzögerung des Schlägerkopfs. Im Finish befindet er sich wieder im Gleichgewicht.

Hatte nie richtig Urlaub gemacht. Kam nun ‚rum. Son Vida auf Mallorca. Duftes Klima, sogar im Dezember. Die Küstenlinie wird unterbrochen von ungezählten kleinen, sandigen und den wenigen grossen Buchten der Flussmündungen, in denen sich seit vielen Jahrhunderten Fischerei und Industrie angesiedelt haben.

Boca Raton is‘ wohl dat schönste Rattenloch in Palm Beach mit ’nem Luxus–Hotel im maurischen Stil, prachtvollen Gärten, schattigen Innenhöfen und einem perfektem Golfplatz. Beeindruckend, die alten Bäume auf dem welligen Gelände und die vielen Blumen, die man gepflanzt hat, um den Kurs noch mehr aufzuhübschen. Ein Kleinbus bringt die Gäste nach der Runde zum Countryclub.

Edel is‘ Muirfield. Die Schotten sind wat ganz Besonderes. Richtige Gentlemen Golfers. Höhepunkt meiner Karriere war dat Turnier auf dem Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews auf dem legendären Old Course in den sturmumtosten Nordsee–Dünen. Dat is‘ Mekka, escht. Da gib’et nur ein Erlebnis, wat schöner is. War zu jung dafür. Hätt‘ übrigens gerne 1974 dem Amerikaner Alan Shepard als Caddie auf’m Mond gedient. Er schlug damals zwei Bälle. Machte allerdings ’nen Fehler, der mir garantiert nich‘ passiert wär‘. Hat nach’m Rausgeh’n aus’m Bunker dat Harken vergessen.

Hatte nach den Höhenflügen die optimale Fallhöhe erreicht und fiel voll auf die Schnauze. Als Taschenträger bis’te auch Seelentröster. Da is‘ ’n Mensch, den du nach vielen Runden genau kennst, du weisst genau, was du wann sagen oder nicht sagen darfst, wann du etwas zu tun oder zu lassen hast. „Ehepaare, deren beide Partner Golf spielen, haben nie viele Kinder“, sagt man. Die Alte det Inhabers von Auto Borgward brauchte ’nen Scheidungsgrund. Verführte mich am Teich hinter’m 5. Loch. Die erste Frau in meinem Leben. War enttäuscht. Hatte mir die Liebe anders vorgestellt.

Dat hat jemand beobachtet. Wurd‘ ’n irrer Skandal. Fristlose Kündigung. Ohne Abfindung. Winston Churchill meinte, Golf sei das grösste Vergnügen, das dem Menschen vergönnt ist, ohne dass er sich ausziehen muss. Hatte Recht, der Mann.

Musste frühmorgens zum Arbeitsamt. Voll der Horror. Musste auf’m langen düsteren Flur ’n ganzen Vormittag ‚rumsitzen, bis ich drankam. Kurz vor zwölf, der Beamte hatte bereits sein Butterbrot ausgepackt und war im Begriff, sich Kaffee aus’se Kanne einzuschenken, als ich zur Tür reinlugte. Boah, hat der mich angestiert. War aber noch nich‘ ganz Pause, muss’ter mich annehmen und ’n Fragebogen für mich anlegen.

»Welche Schulbildung haben Sie?«

»Bin von’ne Schule geflogen.«

»Was haben Sie denn gelernt.«

»Bin Caddie.«

»Das ist doch kein Beruf.«

»Wieso dat denn? Bringt doch ehrliches Geld!«

»Haben Sie das gelernt?!?« – So in dem Verhörstil. Der Beamte war voll krass. Für Fragen liess er kaum Raum. Hat seine Antwort bereits gefunden, bevor er sie sucht. Weil ihn das Gespräch anödete, flegelte er sich auf dem Stuhl, als läge er am Strand. Wippte ungeduldig mit dem Fuss, um zu zeigen, wie sehr ihn das Ganze langweilte. Wollt‘ grad‘ die Biege mach’n, fand‘ er wat in der Ablage.

Der Staatsbedienstete liess ein versonnenes, seidiges Grinsen um die Mundwinkel spielen. Strahlte, als wolle er beweisen, dass alles zum Besten steht, weil es anders nicht stehen kann. Bekam als voller Vermittlungserfolg ’ne Lehrstelle bei der Deutschen Lehranstalt für Agrartechnik… auch so eine Namensperle, darauf muss man erstmal kommen. Dauerte in Echt zwei Jahre, bis ich mich bei der Landwirtschaftskammer zum Examen anmelden konnte.

Darf mich Fachagrarwirt Golfplatzpflege nennen. Ohne mein Fachwissen, von der Gräserkunde bis zur Kostenberechnung, vom Pflanzenschutz bis hin zur Vermessungstechnik, wär‘ der Court nicht bespielbar. Morgens um sechs muss ich den Tau vom Rasen wedeln, um Pilze auszutrocknen. Gelegentlich die Grüns aufschlitzen, um die Wurzeln zu belüften, Drainagen anlegen und Maschinen reparieren. Die technischen Schwierigkeiten des flachen Geländes liegen neben Wasserhindernissen, dichtem Rough abseits der Bahnen, vor allem im Grünanspiel. Das Grün wird von mir täglich aus zwei Richtungen auf ein Gardemass von exakt 2,5 – 3,0 mm gestutzt, die Fairways werden nicht vom Schnittgras am Atmen gehindert.

Greenkeeping is‘ dem Streichen von Brücken nich‘ unähnlich. Wenn man hinten angekommen ist, kann man vorne wieder anfangen. Der Volksgolfplatz wurde von ’ner Betreibergesellschaft gebaut. Damit ist der Sport wat für die Mittelklasse, gute und schlechte Golfer können miteinander auf die Runde gehen, ohne dat sie einander behindern, und aufgrund des Vorgabesystems, das Leistungsunterschie­de ausgleicht, können sie sogar miteinander konkurrieren. Golf vermittelt Lebensqualität ­und darauf sind in ’ner Freizeitge­sellschaft immer mehr Menschen aus. Einige nerven allerdings mit ihren Feldtelefonen. Die Vögel imitieren bereits die Klingelzeichen dieser indiskreten Technologie.

»Was, wenn das nächste Frühjahr ohne die Lerchen anfängt?«, erkundige ich mich bei Heiner Zelmer, der aus alter Verbundenheit auf ’ne Runde vorbeischaut.

»Wir werden sie wahrscheinlich kaum vermissen, wenn diese Gerätschaften fürderhin so zwitschern, wie einstmals die Nachtigall?«, gibt er zu bedenken. Auf seine Anregung hab‘ ich die Benutzung dieser Apparate bei Entzug der Platzreife untersagt. Hält sich seither auch jeder dran, nachdem wir es in die Clubsatzung aufgenommen haben.

Wenn man et in schlechten Momenten gut meint, kommt dat dabei raus: Für mich is‘ et ’n ruhiger Job. Brauch‘ den Geruch von frisch gemähtem Gras in ’ner Nase einfach. Is‘ ’n janz gepflegter Court. Lege Wert darauf, dat ‚et Grün so kurz is‘ wie mein Haarschnitt. Caddies gib’et hier nich‘, dat is‘ Demokratie. Echt!

 

 

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Vor zehn Jahren erschienen die Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Coverphoto: Anja Roth

Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.