Ein scharlachroter Lippenstift lässt ihren Mund zur Wunde werden. Sanft verkriechen sich seine roten Reste in zuckende Mundwinkel, bilden Fältchen in vollen Lippen, schaffen ein rostendes Gestein. Hinter ihren Augen wohnt etwas Hartes, das den verwüsteten Körper verraten will. Ihr Körper ist eine Dünenlandschaft, über den dann und wann eine Eidechse huscht. Die Spuren des Tages zeichnen sich in ihren Handlinien ab, graben sich in sie ein, verschweigen die Wüstenwanderung ihres Wesens. Ihre Hände sind zu klein für den Rest von ihr, sind falsch an ihr, einer anderen zugehörig. Sie wirkt zusammengesetzt, ist nur teilweise, nur in Partien schön. Sie beobachtet mich aus zu Schlitzen verengten Echsenaugen. Ich fürchte einen Sonnenbrand, blecke die Zähne, befeuchte ihren verzweifelten Mund. Sie schmeckt namenlos, ist weniger als ein restwarmer Abdruck im roten Sand einer gemeinsamen Vergangenheit.
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Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers, Kurzgeschichten von Julia Kulewatz, ed(dition)-cetera.
„Das Debüt von Julia Kulewatz ist ein literarisches Arrangement, das in 12 Kurzgeschichten und 2 Miniaturen augenzwinkernd allerlei Einfühlsames, Tragisches, Erotisches, Groteskes, Traumhaftes und surreal Verspieltes bereithält.
Angesiedelt hinter fremden Zeiten und (un)wirklichen Räumen, irgendwo zwischen Duna und Wadi, verschmelzen in ihren Texten Sehnsucht, Liebe und Hoffnung, Verlust, Freude und Schmerz, Willkür, Wahrheit und poetische Notwendigkeit. Sie erzählen von surrenden Frauenhäuptern, mit Käfertieren gefüllten Badewannen, Spieluhrenpanoramen, stimmlosen Tönen, ertraglosen Apfelbäumen im Restsommerhauch, Kellerglaspalästen in der Unberührbarkeit des Augenblicks und Leuchtkäfern am Rande der Einbildung. Der Leser schließt Bekanntschaft mit koreanischen Wassermädchen, einer Femme fatale, die Aphrodisiaka aus Skarabäenmännchen herstellt, der Schuhe verkaufenden Magierin Grey, dem von Sturzregen und Kreidestaub eingerahmten Mädchen am Fenster, mit Aylin, die nahe bei Gott ist, und mit Irene, die zur Wand steht. Schlussendlich vernimmt der Leser, der Spur einer Ameise folgend, mit ein wenig Glück und Neugier einen Laut, den er im Gewühl des Alltags nur allzu leicht überhören kann – den lustvollen Seufzer des Sudankäfers.“ (Stephan Herbst)