Selbstverständlich wird dem Begriff Heimsuchung allgemein eine andere Bedeutung zugedacht. Dennoch trifft er in gewisser Hinsicht auch – jedoch nicht nur als leidvoll zu ertragendes Schicksal – auf den Inhalt von Saskia Lukas Roman „Tag für Tag“ zu. Maria, die Zigarillos rauchende Protagonistin dieses berührenden Familien-Romans sucht einerseits ihre Heimat und wird zugleich von ihren dortigen Erlebnissen immer wieder heimgesucht. Kurz bevor ihr Mann unerwartet früh starb, holte die trauernde Maria ihre Mutter Lucia aus einem entlegenen kroatischen Dorf zu sich nach Bayern. Anna, Marias 17-jährige Tochter, genießt die Anwesenheit ihrer Großmutter, während Maria sich mit dem Dreigenerationenhaushalt überfordert fühlt und zunächst kaum einen emotionalen Zugang zu ihrer alten Mutter und deren alten und neuen Gewohnheiten findet. Neben der mühsamen Hausarbeit gilt es für Maria vor allem, jene scheinbar unlösbaren Konflikte, die sich aus dem Generationen- und Herkunftsunterschied der Dreifrauengemeinschaft ergeben, auszuhalten oder gar zu bewältigen. Es fällt ihr sehr schwer, den Tod ihres Mannes zu verarbeiten. Zudem wird sie durch ihre Mutter von ihrer kroatischen Kindheit immer wieder eingeholt. Als dann auch ihre Mutter stirbt fährt sie in deren Heimatdorf, um sie dort zu begraben und noch eine Zeit lang im Haus der Mutter zu bleiben. Die beeindruckende kroatische Gebirgslandschaft, deren Ruhe und die Stille sowie die Einfachheit des Dorflebens und die Weiten des Mittelmeeres helfen ihr bei der Trauer. Allmählich kommt sie zu sich und es gelingt ihr, sich auf neue Hoffnungen einzulassen. So findet Maria, obwohl sie mit dem Tod ihres geliebten Mannes und dem ihrer zu Lebzeiten äußerst eigenwilligen Mutter zunächst die jeweilige Heimat verlor, bei ihrer Rückkehr nach Deutschland zu der kaum erwarteten Gewissheit, auch an durchaus verschiedenen Orten heimisch sein zu können. Saskia Luka, 1980 in Köln geboren, lebt heute in Berlin und auf der dalmatinischen Insel Brac. Sie lässt ihre Romanheldin Maria als Malerin ihre jeweilige Umgebung
eingehend beobachten und zu Bildern umgestalten, die stets unmittelbar aus ihren genauen Beobachtungen und tiefen Gefühlen entstehen. Somit können die Leser*innen nahezu distanzlos an ihrer zweiweise inneren Zerrissenheit, an ihrer Trauer und den Konflikten mit ihrer Tochter und Mutter teilhaben. Eindrucksvoll versteht es die Autorin, im Haus der Mutter Lucia, in der Abgelegenheit des Dorfes und unter den dort beteiligten Menschen eine Atmosphäre aufzubauen, die durch einfache Szenen besticht und tief in das Leben von Großmutter, Mutter und Tochter sowie in deren Umgebung hineinzieht: „Der Heimweg lag in der Abendsonne, die Bäume am Straßenrand warfen lange Schatten, Marias Sommerkleid flatterte. Lucia hatte offenbar Gefallen an ihrer Kutsche gefunden und ihr Gesicht in Freundenfalten gelegt. Sie thronte auf der Sitzbank und sang. Den Refrain sangen auch Anna und Maria mit. Anna legte theatralisch die Hand auf ihr Herz und verschluckte den Text mit ihrem Lachen… „Dabei bemüht sich Maria immer wieder, mit Vernunft die eigenen Gefühle zu bändigen, bis sie sich endlich ganz auf sie einlassen kann. Der Familienroman „Tag für Tag“ vermittelt und vermischt sowohl Migrationserfahrungen als auch die Auseinandersetzungen bei durchaus heftigen Generationskonflikten. Damit ist er ein absolut liebenswertes Bekenntnis zu einem Leben mit unvermeidbaren Ereignissen, Fehlentscheidungen, Trauer und Abschieden, bis er schließlich auch die Leser*innen zur Rückkehr in die eigene Kindheit und zu einem mutigen Neuanfang voller Lebenslust verführen kann. Auch wenn darin vor allem Frauen versuchen, ihr Leben zu meistern, ist er dennoch kein reiner Frauenroman. Immerhin sind Nebenrollen mit einfühlsamen Männern besetzt, die nicht als die üblichen Frauenversteher ihren Vorteil suchen. Sie tragen daher wesentlich zum Gelingen ihres und des Lebens der drei Frauen bei. Nicht zuletzt deswegen ist „Tag für Tag“ Leserinnen und Lesern auch als emotional aufbauende Lektüre zu empfehlen.
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Tag für Tag, Roman von Saskia Luka, Verlag Kein & Aber, Zürich, 2019, 303 Seiten, € 20.-