Schmiede 2

Sie hatten seltsam geformte Schleifmaschinen in den Händen und polierten mit diesen ein krummes Edelstahlgerüst. Etwas daneben spielte ein vielleicht zweijähriges Kind mit seiner blonden, lächelnden Mutter und zwei großen Hunden. Diese massigen gestromten Tiere hatten Respekt vor dem Mädchen, ließen sich von dem zierlichen Wesen zur Seite drängen, stupsten es zärtlich an. Das war fast schon unerträgliche Idylle. Lärmidylle allerdings. Neugierig überwand Herr Nipp seine grundlegende Scheu vor fremden Menschen und trat mit fragendem Blick hinzu. Man schien es gewohnt zu sein, dass Leute vorbei kamen, schauten und schwiegen. Irgendwann jedoch wurde es einem der Männer wohl zu bunt, inzwischen war eine dreiviertel Stunde vergangen. „Chef ist drinnen.“ „Was ist das für ein Gestell?“ Die drei Arbeiter grinsten. „Kunst“. Sprache kann in manchen Situationen einer völligen, fast lyrischen Verknappung unterliegen. Nur das Eindeutige, auf das Äußerste verdichtet, wird zum Träger einer Kommunikation. Nicht die Not einer Wortfindung war hier zu beobachten, sondern die Notwendigkeit des einzigen Wortes. Der Frager hatte dieses selbst zu füllen, er musste selber nach Antworten suchen. Die weiterhin fehlenden Erläuterungen forderten von ihm, dass er selber die Gedanken wuchern ließ, dass er eigene Erklärungen finden musste. Handelte es sich bei diesem Begriff nun um die Beschreibung der Tätigkeit, wurde Kunsthandwerk als Kunst gesehen oder entstand durch das Handwerk ihres Tuns nun Kunst? Herr Nipp merkte, dass hier keine längeren Gespräche möglich waren. Wer lange Zeit zusammenarbeitet, braucht nicht viele Wörter, jeder Handgriff sitzt, erst in der Freizeit oder wenn die Maschinen aus sind, wenn das Wort genug Raum hat nicht geschrien zu werden, erst in der persönlichen Runde tauscht man sich intensiv aus. Man kennt die Stärken und Schwächen der Anderen und man schätzt sie.

Der offensichtlich zu erkennende Chef in der Werkhalle stand dort mit einem anderen dunkel gekleideten Mann, beide frisch unrasiert in den letzten Tagen. Sie debattierten und konnten sich dabei freundlich ernst in die Augen blicken. Herr Nipp trat in die Halle der Schmiede und wurde kurz neugierig von den Hunden beschnuppert, akzeptiert, die Wade blieb dran. „Was wird das da draußen genau?“ „Kunst.“ Zufrieden ging er nach Hause. Er würde sich die Arbeit irgendwann anschauen und die Antwort selber finden.

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Weiterführend → 

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

Gerade erschienen: Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp. Mit Fotos von Stephanie Neuhaus. Edition Das Labor 2019