Sie wurde an diesem Abend zu den jungen Männern platziert. Die anderen Frauen saßen etwas weiter entfernt. Man hatte die Plätze gelost, um die Leute gut durchzumischen. Sie war mit dem ihrigen zufrieden. Doch was ist in sie gefahren von Drogen zu sprechen, als handle es sich um Zuckerbonbons? Die jungen Männer schienen zunächst irritiert, dann amüsiert, bis sie sich vergewisserten, dass sie das Thema nicht nur anschnitt, um die Stimmung zu lockern, sondern, dass es ihr offenbar ein Anliegen war, sich darüber auszutauschen, wer welche Erfahrung und mit was gemacht hatte und ein Rauschmittel nach dem anderen systematisch diskutierte. Nicht jeder stieg sofort auf das Thema ein, so mancher umschiffte es, indem er lieber auf andere verwies, die ihm etwas übermittelt hätten, was er eigens nie erfuhr, oder er versuchte vergeblich das Gespräch auf andere Inhalte zu verlegen. Doch sie blieb stur, war Feuer und Flamme, sprach begeistert, ja versuchte beinahe den Rausch heraufzubeschwören, als etwas, das jedem zustand, der mehr vom Leben wollte. Manchmal redete sie an der Grenze zur Peinlichkeit, gelegentlich konnte sie ihre Begeisterung mit dem einen oder anderen teilen, der ihr an den Lippen hing wie ein kleiner Schuljunge. Es entging ihr nicht, dass sich diese Burschen ab und zu Blicke zuwarfen, Damit konnte sie bestens umgehen. Kaum hatte einer mit den Augen gerollt, schnappte sie sich ihn wie zum Verhör und fragte eindringlich, leicht flirtend, als könnte sie ihm etwas durch ihren Charme entlocken: Was ist mit dir, was hast du schon gemacht, dass ich noch nicht kenne? Klar, sie hätte ihre Mutter sein können, aber das Kerzenlicht an diesem Abend, ihr offenes Dekolletee, die heitere Stimmung ringsum, versuchten diese Gedanken zu verblenden. Vielleicht drang die junge Frau, die sie mal war ja doch irgendwie durch und die Spuren des Lebens waren an diesem Abend weniger gut zu sehen, so wie ihr das Haar locker ins Gesicht fiel, so wie sie heute ihren Kopf wog, wild gestikulierte, laut lachte und in einer angenehmen Duftwolke saß, die leicht und süß aus ihren Poren strömte. Warum verschwieg sie, einen Sohn in einem ähnlichen Alter zu haben, eine recht etablierte Wissenschaftlerin zu sein und dass sie durchaus wilde Zeiten hinter sich hatte, wie zum Beispiel jene Reise alleine zu Pferd durch die Mongolei und allerlei andere Erfahrungen, die sie als Frau durchaus interessant machte und die sie hätte stattdessen teilen können. Es gäbe viel zu erzählen von ihr. Sie war jemand, der schon viel erlebt hatte und von Sachen erzählen hätte können, die nur früher so stattfinden konnten wie sie es taten, als es noch keine Mobiltelefone und kein Internet gab, als die Zeiten generell so viel anders waren und Länder haben besucht werden konnten, die heute als gefährlich eingestuft werden. Selbst von New York hätte sie plaudern können und wie es war, als die Stadt das Wort Gentrifizierung nicht in ihrem Vokabular hatte. Sie hätte sich gelegentlich nur etwas in diese andere Richtung auffächern müssen, sich auf einen regen Austausch einlassen können, doch sie beharrte auf ihrem Thema des Abends, verbiss sich regelrecht darin, so als würde es jetzt in dieser Runde gelten eine Wahrheit zu finden. Könnte er sie aus dieser Situation reißen, ihr in die Augen schauen und sie direkt fragen, ob das nicht eine Spur zu lächerlich für sie sei, sie würde die Schuld dem Alkohol geben, wohl wissend, dass dies bloß eine dumme Ausrede war, die er nur akzeptieren würde, wenn er bei ihrem Spiel mitmachte, er ansonsten wüsste, dass sie wüsste, dass er weiß. Wäre er hier, er würde sie wahrscheinlich auf der Stelle entlarven. Doch bevor sie sich in Erklärungen winden würde, sagte er nur drei Worte, die sie für den Rest des Abends stumm machten: Weißt du noch?
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Er die Schöne, Moodboard Stories von Joanna Lisiak, 2019, 200 Seiten, isbn 978-3-74817-417-2