Komm!, sagt Schlange, wir machen Liebe. – Lass mich, Schlange, sage ich, ich denke nach. – Was ist los, sagt Schlange, worüber denkst du nach? – Über unsere polygame Neigung, sage ich. – Ich wusste es!, sagt Schlange. – Unserer polygamen Neigung steht ein gewisser monogamer Eskapismus gegenüber, sage ich. – Bestimmt dialektisch, sagt Schlange, wie sieht denn die Synthese aus? – Kompliziert, sage ich. – Ich wusste es, sagt Schlange, ehe ich dich fragte! – Nein, sage ich, nicht so. – Dann siegt also das Monogame, sagt Schlange. – Ja, sage ich, aber es gibt immer nur Pyrrhus-Siege! – Wieso?, sagt Schlange. – Mal angenommen, das Polygame ist die These, sage ich, und das Monogame die Antithese … – Gut, sagt Schlange, da ist was dran. – Die Synthese, sage ich, ist immer die Negation der Negation. – Das klingt nicht gut, sagt Schlange. – Warte, sage ich, minus mal minus gibt plus: Monogam negiert polygam, und die Synthese negiert diese Negation, in der Synthese wird also die erste Negation aufgehoben. – Ach so, sagt Schlange, du legitimierst deine Neigung zur Vielweiberei… – Ach was, sage ich, die dialektische Methode ist eine Denkbewegung. – Du lenkst ab, sagt Schlange, komm zur Sache! – Also…, sage ich, die Synthese ist kein fauler Kompromiss, sondern in ihr ist im doppelten Sinne des Wortes beides aufgehoben: These und Antithese. – Toll, sagt Schlange, dann kannst du mir also treu bleiben, wenn du es mit anderen Weibern treibst? – Ja und nein, sage ich. – Nein!, sagt Schlange, es gibt hier für mich kein Ja! – Warte, sage ich, ich habe noch nicht ganz zu Ende gedacht. – Bist du mir treu, sagt Schlange, oder nicht? – Dialektisch gesehen ja, sage ich, aber die polygame Neigung ist noch nicht besiegt. – Du meinst deine polygame Neigung, sagt Schlange, klar! – Deine auch!, sage ich, die monogame Liebe verbraucht sich mit der Zeit. – Die Liebe kennt keine Zeit, sagt Schlange. – Doch, sage ich, sie höhlt den Stein der Weisen, sie rollt den Stein des Sisyphos hinauf – aber sie stößt ihn auch wieder hinab, sie fegt jede Sicherheit hinweg und stürzt sich im Fluge zu Tode oder stolpert über ihre eigenen Beine. – Du sprichst nur von dir, sagt Schlange, du kennst die Liebe nicht. – Aber du!, sage ich. – Ja, sagt Schlange, im Reich ihrer Mitte glüht und pulst das ewige Panta rhei. – Jetzt spielst du deine Gefühle gegen mein Denken aus, sage ich. – Nein, sagt Schlange, ich hebe dein Denken nur in meinem auf. – Schlange, sage ich, ich gebe auf. – Werden und Vergehen sind eins, sagt Schlange, ich liebe dich, Pyrrhus! … Komm, Schlange, sage ich, wir machen Liebe!
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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann
In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.
Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.