Das Museum für Fotokopie (M.F.F.) widmet sich der Geschichte der Fotokopie und der Copy Art. Es ist Mitbegründer des seit 2013 vom gleichnamigen Verein betriebenen Makroscope – Zentrum für Kunst und Technik, welches sich gegenüber vom Rathausturm im Zentrum der Mülheimer Innenstadt befindet. Im Makroscope finden regelmäßig Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge und Workshops statt. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Synergien zwischen Technik und Kunst sichtbar zu machen und zu vermitteln.
Damals, als die Fotokopierer die alten Büro-Vervielfältiger ablösten, hatten sicher viele Büroangestellte klammheimlich einmal die Hand, das Gesicht oder gar das Hinterteil über die Glasscheibe gehalten und den Knopf gedrückt: „This is a delicate piece of machinery …“ ermahnte Ned, der Xerox-Mitarbeiter in der Kultserie „Mad Men“ (Staffel 2/Folge 1) die verdutzte Peggy. „…you don’t bang on the buttons, you don’t sit on the glass. If you want it to work, you got to treat it with respect!“. Für die in den Sixties spielende Serie hatte man den ersten Kopierautomaten „Xerox 914“ von 1960 ins Studio geholt. Xerox 914, das ist der Urahn aller heutigen Laserkopierer- und -Drucker. Und schon 1961 beim allerersten TV-Werbespot für diesen Kopierer hatte Klein-Debbie, die das kinderleichte Fotokopieren demonstrieren sollte, spontan ihre Puppe auf das Vorlagenglas gelegt und xerokopiert.
Heute dagegen, wo in vielen Haushalten ein Multifunktions-Gerät steht und vorwiegend als Drucker, aber auch als Kopierer, Scanner oder Fax dient, wissen viele Besitzer rein gar nichts von den „außerplanmäßigen“ Möglichkeiten dieser nützlichen Gadgets.
Dass aber diese, und die vielen andere Geschichten aus der Bürokultur nicht vergessen werden, dafür sorgt seit nunmehr 35 Jahren der Copy-Künstler Klaus Urbons in Mülheim an der Ruhr. „Xerolore – die heimliche spontane Nutzung der Fotokopierer macht zwar nur einen recht kleinen Teil des Archivs aus,“ sagt der Museumsgründer „sie ist aber trotzdem wichtig, denn auch etliche Künstler*innen begannen in den sechziger Jahren mit den ersten Kopierautomaten zu experimentieren und deren Gestaltungsspielraum zu untersuchen. Beispielsweise der Künstler / Designer Bruno Munari in Mailand. Neben Joseph Beuys, Anna und Bernhard Blume, Helen Chadwick, Pati Hill, David Hockney, Lieve Prins, Sigmar Polke, Sonia Sheridan, Wolfgang Tilmanns, Timm Ulrichs und Andy Warhol, gab und gibt es eine ganze Reihe weniger bekannter, aber nicht weniger guter Künstler*innen, die sich der Copy Art zumindest für einige Zeit intensiv widmeten. „Dieser Teil der Kunst- und Medienge- schichte wird noch immer eher stiefmütterlich behandelt,“ erklärt Urbons, „das hat auch mit dem negativen Image von Kopien zu tun. Damit tut sich der kommerzielle Kunstbetrieb recht schwer. Der Witz ist, dass Künstler*innen mit dem Kopierer Originale produzieren, die tatsächlich Unikate sind.“
Das Museum für Fotokopie (M.F.F.) sammelt seit seiner Eröffnung am 29.3.1985 Copy Art, und ebenso die Tools: die Kopiergeräte und Kopiermaterialien. Es erforscht zudem die Geschichte der beiden Bereiche. An die tausend Kunstwerke und rund 150 Kopierer sind da- bei zusammen gekommen. Vier Bücher über die im Museums geleistete Forschung- und Vermittlungsarbeit wurden bisher publiziert: 1991 Copy Art – Kunst & Design mit dem Foto- kopierer; 1994 Elektrografie – Analoge und digitale Bilder (beide bei DuMont); 2016 Edith Werde – wie eine Erfinderin aus dem Rheinland die Welt veränderte (Edition Makroscope); 2018 Magie der Kopie – Chester F. Carlson und die Xerografie (dt./engl. Edition Makro- scope bei Amazon); 2020 erscheint: Von der analogen Kopie zum digitalen Workflow – Geschichten eines Wandels in Technik und Kunst (Edition Makroscope).
Gemeinsam mit Jan Ehlen, Jerome Krüger und Gabriele Klages gründete Urbons 2014 das „Makroscope“ (makroscope.eu) als Zentrum für Kunst und Technik in Mülheim. Nach einem jahrelangen Dornröschenschlaf ohne eigene Räume konnte dort, auch dank verschiedener Förderungen des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), der Leonard-Stinnes-Stiftung und des Investitionsfonds der Bezirks-Regierung Düsseldorf, die öffentliche Museumsarbeit wieder aufgenommen und auf eine neue Ebene gebracht werden. Die Neuausrichtung der weltweit einmaligen Sammlung des M.F.F. manifestiert sich in enger Verbundenheit mit anderen Gewerken im geschichtsträchtigen Makroscope-Haus, das seit 2018 Eigentum des gleich- namigen Vereins ist. Gebaut als Hotel Terminus, dann Stadtbücherei und Nazi-Hauptquartier und schließlich Schreibwarengeschäft, beherbergt das Haus heute Ateliers, Künstlerwoh- nungen sowie Veranstaltungs- und Proberäume. Im Museum finden regelmäßig Vorträge, Workshops und Ausstellungen statt. Seit 2018 ist Mari Lena Rapprich als Kuratorin und Künstlerin in unterschiedlichen Projekten und Ausstellungskonzepten mit an Bord. Ziel des Museums ist es, die Kunst- und Technikgeschichte stets mit aktuellen Inhalten zu verknüpfen.
So widmete man sich 2016 der Erfinderin Edith Weyde, die 1938 bei Agfa in Leverkusen das erste erfolgreiche der modernen Kopierverfahren entwickelt hatte. Agfa Copyrapid, besser bekannt als „Blitzkopie“ war ein unglaublicher Welterfolg. Edith Weydes Erfindung bildete übrigens auch die Grundlage für Edwin H. Lands Polaroid Sofortbildverfahren. Das erste Buch über das weitgehend unbekannte Leben und Werk der Edith Weyde erschien in der eigens gegründeten Edition Makroscope im Rahmen des Shiny Toys-Festivals (shinytoys.eu). Zur Ausstellung steuerte „Doc“ Florian Kaps, Mitbegründer der Polaroid-Re-birthFirma Impossible ein großformatiges Test-Polaroid bei, und auch die erste Polaroid- so- wie die erste Impossible-Kamera wurden zusammen mit Polaroid-Kunst präsentiert.
Im Herbst 2018 fand eine große internationale Copy Art-Ausstellung in der CEPA Gallery in Buffalo/NY statt, bei der Urbons als Kurator und das M.F.F. als Leihgeber mitwirkte. Unter dem Titel „Fast, Cheap & Easy – the Copy Art Revolution“ versammelte diese Ausstellung die Werke von mehr als 100 Künstler*innen von den Sechzigern bis in die Gegenwart. Der stilecht per Kopierer produzierte Katalog kann weiterhin kostenlos heruntergeladen werden
Zu Beginn des Jubiläumsjahres am 29.3.2020 wird das Museum eine neue eigene Webpräsenz bekommen. Diese soll den Einblick in die derzeit laufende, erstmalige Digitalisierung der Kunst- und Technik-Sammlung sowie die internationale Zugänglichkeit in deutscher und englischer Sprache ermöglichen. Und kurz darauf, am 23.4.2020, wird ein weiteres, vom LVR gefördertes Buch veröffentlicht: „Von der analogen Kopie zum digitalen Workflow“. Urbons liefert hierin eine Dokumentation der fast vergessenen Geschichte der modernen Bürokopie, aus globalen und lokalen Blickwinkeln betrachtet. Wie in jeder Publikation spielt auch hier die Kunst eine wichtige Rolle. Besonderes Highlight: Die „Global-Art-Fusion“ von 1985, eine Gemeinschaftsaktion via Faxgerät von Beuys in Düsseldorf, Higashiyama in Tokyo und Warhol in New York, initiiert von dem Schweizer Künstler Ueli Fuchser.
Im M.F.F. wurden und werden neue Formate entwickelt, zum Beispiel der Tattoo-Brunch im Rahmen der „Kind of Copy“ getauften Ausstellungsreihe, bei der das Augenmerk auf dem Kohlepapier lag. Wer denkt, dass dieses kaum noch gebraucht wird, irrt sich gewaltig. Tattoo-Künstler nutzen die „Carbon Papers“, um ihre Entwürfe auf die Haut zu übertragen.
Bereits zum zweiten Mal erschien die „M.F.F. Edition“, eine Box mit Copy Art-Originalen zur Förderung der Museumsarbeit. Jürgen O. Olbrich aus Kassel nutzte in der aktuellen Edition „On Hands On“ Papiere mit geprägter Blindenschrift. Dadurch wurde jedes Blatt zum Original, obwohl der alte OKI einfach „nur“ kopierte.
Klaus Urbons hält Experimental-Vorträge zur Kunst, Geschichte und Kultur der Kopie, bastelte etliche Videos für Vimeo & YouTube und bietet gemeinsam mit Gabriele Klages und Mari Lena Rapprich Workshops und Kurse zu verschiedenen Copy-Themen an. Für Besuche ist das Museum donnerstags von 16 bis 19 Uhr sowie auf Verabredung zugänglich. Der Eintritt ist frei.
Aktuelle Informationen ab heute online auf museum-fotokopie.de
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The Magic of Copies: Chester F. Carlson and the Invention of Xerography Paperback – 2018
Weiterführend →
Blitzkopie: Auszüge aus einem Interview mit Dr. Edith Weyde 1988
Das kleine Helferlein – Hörfilm auf MetaPhon
Xerografie: Erstes Remake des Astoria-Experiments zum 70jährigen Xerografie-Jubiläum 2008