Kontrolle

Die Nacht war lang gewesen, denn sie hatten zusammen Filme gedruckt. Hatten sich den Spaß gemacht, einen ungarischen Film zu sehen – Kontroll. Beklemmende Ästhetik, mal banal, mal der reine Schock. Wäre sicherlich eine gute Vorlage für einen Film mit amerikanischen Superstars, dann würde er auch geguckt, international. Schockierendes Kino, mit einfachen Effekten, die dann sicherlich aufgeblasen daherkämen. Aus dem einfachen Albtraum würde eine Fahrt durch die Möglichkeiten der digitalen Effektwelt. Eine Schlägerei würde aufgeblasen, nicht angedeutet, die Wunden würden wie Wunden aussehen, nicht wie Schminke. Ein verrenkter Halswirbel würde knacken, schauderhaft. Die Flucht vor einem Zug wäre dann die Flucht vor den eigenen Dämonen. Materialisierung der eigenen Hintergrundgedanken, die täglich verdrängt zum Höllentor in die eigene Psyche werden. Der Filmvorführer hatte noch einen zweiten Film mitgebracht, als Entspannung gedacht. Die türkischdeutsche Produktion Willkommen in Deutschland, Lustig, ja, nachdenklich auch und so traurig, dass Herrn Nipp heimlich einige Tränen über die Wangen gekullert waren. Er, als Verweigerer des Fernsehkonsums, wurde bei Filmen immer so tief getroffen, dass er sich den Gefühlen nicht entziehen konnte, sich der Magen umstülpte, sich die Tränenseen leerten. Es gab oft kein Halten mehr. Bei einem Film hatte er das Kino verlassen müssen, so tief hatten sich die Ängste gefressen, obwohl er wusste, dass es nur ein Film war. Dann musste er sich ablenken und rauchte schnell mal eben zwei drei Zigaretten.

Herr Nipp hatte sich schließlich nach Hause bringen lassen, beim Aufwachen konnte er den Kopf kaum bewegen – er hatte sich den Nacken verrenkt.

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Weiterführend → 

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421