Panzersperren

 

Wir gehen „Panzersperren-Schauen“, es ist schon gegen Abend. Wer noch mit mir ist, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur an die beiden Panzersperren im oberen Ortsteil: an die beim Moser-Haus und an eine auf der Linzerstraße. Reden tun wir nicht, wir schauen nur. Reden tun wir nie etwas in der Öffentlichkeit. Man kann niemandem trauen; hat der Vater gesagt. Und der weiß alles, der war vor den Nazis Bürgermeister in unserem Ort. Und wir wissen auch, wer die Ortsnazis sind, vor allem wer die besonders „Fanatischen“ sind. So wie zum Beispiel der Myslik, der mit seinem böhmischen Namen, der hat’s grad notwendig tuscheln manchmal zwei einander Vertraute, wenn sie beisammenstehen. Der Myslik, vorher ein kleines Würschtl; und über Nacht ein mächtiger Mann, in Naziuniform mit brauner Uniform und schwarzen glänzenden Stiefeln; und einem Gang, als hätte er einen Stecken hinten stecken, vom Genick bis unterm Arsch. Nein, ein mächtiger Mann ist er eigentlich nicht, aber ein gefährlicher; besonders jetzt in den letzten Kriegstagen, da er den Volkssturm kommandiert und das Panzersperren-Bauen beaufsichtig. Und wehe, da muckt einer auf! Von unserem Wohnzimmer aus, am Fensterbrett oben knien, sehe ich die Kolonne alter Männer und ganz junger Burschen, wie sie, obwohl zackig und laut angeschrieen, müde dahinmarschieren, zur Panzerfaustübung, für die Ortsverteidigung gegen den Feind, der ja nicht mehr weit weg ist. Die Nazis haben in gerade in unserem Haus, in einem Raum neben dem Vorhaus und Geschäft, aus dem eine Tür auf den Platz herausführt, eine Menge Panzerfäuste gelagert; das war natürlich absichtlich und bösartig. Sie wollen es dem verhaßten ehemaligen Anti-Nazi-Bürgermeister heimzahlen, daß er von Anfang an gegen sie war. „Sollen sie doch allesamt mit dem Haus in die Luft fliegen, wenn da eine Granate hineinkracht, werden sie wahrscheinlich gedacht haben. Mutter hat dann aber ganz knapp vor dem Beschuß des Ortes durch die Amerikaner mit irgend jemandem vom Haus noch eigenhändig die Panzerfäuste auf den Platz hinausgetragen und die Panzerfäuste beim Ortsbrunnen aufgestapelt. Erschossen hätte sie werden können, hat jemand hernach gesagt. Aber das Mutterkreuz der Nazis hat sie geschützt. Der Vater meint natürlich: vor allem aber war es der Liebe Gott. Wir inspizieren also diese Panzersperren. Sie sind aus dicken Holzstämmen zusammengefügt zu zwei Blöcken beiderseits der Straße, sodaß nur ein schmaler Durchgang freibleibt. Alles schaut trotz der Mächtigkeit sehr fragil aus; auch wegen der Maurerklampfen, mit denen die einzelnen Stämme aneinander fixiert sind; die kann man mit einer Hacke oder einer Eisenstange leicht heraushebeln. „Also, gegen die Panzer werden diese Panzersperren nicht viel nützen. Die hauen eine Handgranate hinein, und weg ist sie: die Panzersperre“, sagt jemand, nachdem er sich umgeschaut hat, ob eh niemand anderer da ist, der hören könnte, was er sagt. Gerade jetzt ist nicht zu spaßen mit den Nazis; und schon gar nicht mit denn SS-lern, auch wenn sie noch so jung sind. Das sind fanatische Reichsdeutsche. Oder „Wehrwölfe“. Die kennen keinen Pardon. Wir wissen das, weil man uns das eingebleut hat. Also reden wir nichts und halten den Mund. Nur der Kaufmann Heinzi, der Sohn vom Doktor, dem Gemeindearzt, und ich und wenn der Getziger-Bua, der Sozibua, oder der Zinsmeister Rudi, ebenfalls ein Sozibua, mit von der Partie sind, dann grinsen wir manchmal irgendwie frech, denn dieses Grinsen ist unsere Form der Verachtung und des Widerstandes gegen die uns verhaßten Nazis. Und dann beginnt womöglich einer von uns drei, indem er leise mit den Worten unseren Spruch anfängt, ohne daß er wirklich hörbar laut wird, indem er sagt: „Auf alle Fälle… „ Und wir ergänzen: „scheißt der Hund kane Gummibälle; und da Hitla kane Soidodn!“ Und dann lachen wir befreit auf. Und wir freuen uns schon jetzt darauf, daß dann alles ganz anders sein wird als es jetzt ist. Was und wie etwas sein wird, wissen wir nicht; aber wir freuen uns schon jetzt wahnsinnig darauf.

 

 

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Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.