Der Lyriker und Herausgeber Axel Kutsch wird heute 75 Jahre alt
„Kann man ein Gedicht/ über Fischstäbchen schreiben?/ Natürlich kann man./ Ich laß es bleiben“, meint der Bergheimer Autor Axel Kutsch lakonisch in seinem Gedicht „Ein Leser fragt“. In dem augenzwinkernden Vierzeiler steckt einiges von der Philosophie des Lyrikers und Herausgebers, der heute 75 Jahre alt wird. Bislang zwölf Gedichtbände hat Kutsch seit 1974 veröffentlicht und sich dabei als ein versierter lyrischer Chronist der Republik erwiesen. Als Herausgeber baute er gemeinsam mit dem Verleger Ralf Liebe die Anthologie Versnetze zu wichtigsten alljährlichen Wasserstandsmeldung der deutschsprachigen Lyrikszene neben dem „Jahrbuch der Lyrik“ und der Zeitschrift „Das Gedicht“ auf.
Auch in der soeben erschienenen Ausgabe „Versnetze_13“ bleibt er dem Konzept „Poetische Vielfalt statt Beliebigkeit“ treu: Nach Regionen und Alter sortiert, präsentieren hier Lyrikerinnen und Lyriker, was sie aktuell thematisch und formal umtreibt. Dabei zeigt Kutsch eine für einen Lyrik-Herausgeber eher untypische Eigenschaft: Er ist komplett uneitel. Wo andere gerne ihre eigenen Sprach- und Formschulen propagieren oder Weggefährten und Epigonen publizieren, gilt für ihn nur das Primat der Qualität. Wer den Mut und die Fähigkeit zu einem eigenständigen, kreativen Umgang mit Sprache, Inhalt und Form findet, kann auf die Aufnahme in diesen Sammelband hoffen, der deshalb unberechenbar im besten Sinne ist.
So stehen sich mitunter, scheinbar nur der Willkür des Geburtstags geschuldet, Beispiele der eher konventionellen Dichtung und die experimentelle, unorthodoxe Variante gegenüber – was bei den Vertretern beider Lager mitunter gleichermaßen für Stirnrunzeln sorgt. Ein Spannungsverhältnis, das Kutsch gerne aushält und von dem die Leser profitieren.
Schon vor den „Versnetzen“ hat er etliche Anthologien editiert, mit bis heute nicht nachlassender Begeisterung, wie er unlängst im Gespräch mit dem Lyriker Gerrit Wustmann sagte:
„Das Neue, das Unerwartete, Unverhoffte, mitunter Unerhörte, die Entwicklung vieler Autorinnen und Autoren über Jahre zu verfolgen, andere zu entdecken, auch Enttäuschungen bei Einsendungen, deren Verfasser schon mal besser waren – das alles trägt zur Spannung bei.“
Inzwischen renommierte Lyriker wie Marcel Beyer, Norbert Hummelt oder Jan Wagner haben frühe Werke in Kutschs Gedichtsammlungen veröffentlicht. Sein noch größeres Verdienst besteht aber darin, jene agile, quicklebendige Lyrik-Szene abzubilden, die zwar Talent und Kreativität vorweisen kann, aber keine realistischen Aussichten auf Veröffentlichungen in größeren Verlagen hat. Ein Abdruck in einem Band wie den „Versnetzen“ ist diesen Autoren wertvoller Ansporn.
Dabei hatte zunächst wenig daraufhin gedeutet, dass Kutsch pro Jahresband etwa 2.000 Gedichte sichten und bewerten wird. 1945 in thüringischen Bad Salzungen geboren, wächst Axel Kutsch im Raum Aachen auf, wo er als Redakteur bei einer Tageszeitung anfängt. Die ersten Gedichte zeigen ihn politisch engagiert, gesellschaftliche Ungleichheit und vor allem Militarismus beschäftigen ihn. Allerdings wird schon bei den filigran herausgearbeiteten Versen die Form nicht dem Inhalt untergeordnet, beides findet jene Balance, die das Frühwerk auch heute noch sehr gut lesbar macht. Später entwickelt er einen unverwechselbaren, spielerischen und ironischen Umgang mit Sprache, der trotz heiterem Grundton zu sehr präzisen und teilweise erfrischend bösartigen Resultaten führt. Dabei macht er gerne auch das Gedicht als solches zum Thema. So lässt er in seinem eigenen Beitrag zu den jüngsten „Versnetze“ den übermütigen Ikarus durch die zehn Zeilen eines Gedichts abstürzen und wenn er im Vorgängerband raunt:
„Meine Dame/ das neue Gedicht/ steht ihnen gut“, dann kann man ihm das durchaus glauben.
Neben den Einzeltiteln ist er in etlichen Anthologien und Zeitschriften vertreten. Kaum ein seriöser Verlag, der überhaupt keck genug ist, Lyrik-Sammelbände zu veröffentlichen, ist ohne seine Beiträge ausgekommen. Dazu wurden seine Gedichte in mehrere Sprachen übersetzt, auf der Bühne, im Fernsehen und im Hörfunk inszeniert sowie in Schulbüchern verewigt – eine Wirkung, die nicht viele deutschsprachige Lyriker erfahren haben.
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Weiterführend →
Eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus Metropole und Hinterland lesen Sie hier.
→ Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.