Wenn der Social Beat etwas bewiesen hat, dann daß auch die Asozialität von Literatur einen Funken Hoffnung erzeugen kann. Gibt es eine Arrièregarde des Social Beat?
Es ist – und das ohne des branchenüblichen Zynismus im Literatur-Betrieb – sehr anrührend, wenn jemand in Zeitalter der Smartphons seine Gedicht-Entwürfe auf einer Schreibmaschine tippt – diese wurden von Philip J. Dingeldey als „Lyrik des Prekariats“ bezeichnet. Fabian Lenthe greift auf (Gegen-)Traditionen zurück. Er arbeitet sich ab, an den häßlichen Seiten der Stadt. Ähnlich wie der „Altrocker“ Robsie Richter hat er in den bisherigen Bänden keine Scheu vor dem Abstossenden, Vulgären und Obszönen; dabei halten die Sprache und ihr Gegenstand das gleiche Aggressionsniveau. In seinem neuen Band Apnoe äußert sich die Zerrissenheit des Ichs in seiner Introspektion und einer simultanen Aussenschau. Der Autor betrachtet die Welt gleichsam aus dem Auge des Hurrikanes. Die KUNO-Redaktion erkennt noch einen anderen „Retro“-Aspekt, denn der Leser tritt quasi eine Zeitreise in das begriffliche Schwemmgut des Social Beat an, der durch Clemens Schittko und Fabian Lenthe quasi fortgeführt wird. Auch entdeckt die Redaktion einige Parallelen zur Trash-Lyrik mit der Tom de Toys belegt hat, daß die Herstellung eines Gedichtbandes nichts mit Lyrik zu tun haben muss, was letzteren nicht daran hindert, einen Band nach dem anderen rauszuhauen. Als Atemstillstand oder Apnoe wird ein mehr oder weniger langes Aussetzen oder willentliches Anhalten der Atmung bezeichnet. Man kann den neuen Band also als Atemübungen bezeichnen, kurze Seufzer, die an die neue Literaturgattung Twitteratur gemahnen. Und in den besten Momenten formuliert der Autor einen Moment verwirklichter innerer Freiheit. Aber der interessierte Leser sollte sich selbst ein Bild machen, Apnoe von Fabian Lenthe ist in der – auch die gibt es in 2020 immer noch – „Underground Press“ von Roland Adelmann erschienen.
Weiterführend zur Theorie des Sozialen →
Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. – Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein gelungener Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.