Das Prinzip der Verwertung

mp3 ist ein Verfahren zur verlustbehafteten Kompression digital gespeicherter Audiodaten. Dadurch wird, bei kaum verringert wahrgenommener Audioqualität, eine starke Reduktion der Datenmenge möglich.

Vor 25 Jahren wurde ein Format eingeführt, das erstmals keine Verbesserung des Musik- und Hörbuchgenusses oder der künstlerischen Möglichkeiten darstellte. Stellte der Übergang von Schellack zur Vinyl-Schallplatte und – eine klanglicher Vertiefung zur CD – sowohl eine technische als auch eine künstlerische Weiterentwicklung dar, so hat die Hegelsche „Furie des Verschwindens“, die mit dem Fortschritt eng verwandt ist, nach der Einführung der Abspielmöglichkeit mp3 fast alle diese Errungenschaften aus unserem Leben gerissen. Ihr Assoziationsprinzip ist expansiv und potenziell unendlich, und bei der Menge an Titeln, mit denen die bekannten Kanäle im www über den Kunden herfallen kann, droht schnell Überforderung und Beliebigkeit.

Erfinden ist göttlich, Multiplizieren ist menschlich.

Man Ray

Es ist eine „Ewige Wiederkunft“ des gleichen „Content“. Die Macher dieser „Videospielmusik“ (es reicht nicht mehr Musik zu hören, man muss sie auch sehen!) nutzen das Internet primär als Distributionsmedium, an Inhalt und Form des Dargebotenen ändert sich kaum etwas. Es geht lediglich um eine „Wertabschöpfung“, an der Komponisten und Interpreten kaum beteiligt sind. Beim diesem Leben gibt es kein Copyright. Der wahre Charakter dieses Sounds ist ihr Warencharakter. Technologie ist ein Bestandteil des Alltags geworden. Die Verbraucher nutzen WhatsApp, um sich für ein Date zu verabreden. Konferenzen finden via Zoom statt. Aber bringt Hightech die „Kunden“ tatsächlich zusammen?

Was im analogen Zeitalter die compact cassette darstelle, ist in der digitalen Dekade die mp3

Man muss den gegenwärtigen Tendenzen und nachfolgenden Entwicklungen nicht kulturpessimistisch entgegenstehen, und doch ist es geradezu markerschütternd, wie das vornehmlich jüngere Publikum diesen Rückschritt an Klangästhetik klaglos hinnimmt und sich mit rabiat nach vorn gemischten Tracks quasi wieder im Extrem-Mono befindet. Wir leben in einem Zeitalter, in dem die bekannten Unternehmen bestimmen, welche Daten den Kunden in welchem Mix zugänglich gemacht werden. Das sogenannte „Strea­ming“ treibt das auf die Spitze, es geht nicht mehr um klangästhetischen Genuss sondern um Bequemlichkeit, d.h. um Faulheit der Leute sich mit künstlerischen Inhalten auseinanderzusetzen. Kaum jemand möchte mehr eine quadratische Verpackung in der Hosentasche herumschleppen oder sich mittels Konzeptalben mit künstlerischen Ideen auseinandersetzen, bei einer Oper ein Textbuch mitlesen oder bei einem Hörspiel, das mit Kunstkopf-Stereophonie produziert wurde, die Kopfhörer aussetzen und einfach hören, zuhören. Nur Nostalgiker und Sammler halten noch an dieser Silberscheibe fest, an diesem Relikt aus der beginnenden digitalen Zeit.

Wahrgenommen durch den Instagramfilter sind Klänge nur noch ein gelenktes Geräusch

Begegnen wir der Logik des neuen Mediums, so finden sich erstmals keine Spurenelemente von künstlerischer Innovation, dieser „Vaporwave“ setzte sich nur noch aus Samples und Loops zusammen. Bisher gab es in der Mediengeschichte ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Kunst und Publikum. Nun ist der Erkenntnishorizont erheblich eingeengt. Streams und mp3 haben Klänge, Melodien und Sprache zu etwas Flüchtigem gemacht, früher nannte man diese akustische Tapete treffend „Fahrstuhlmusik“. Während zu Zeiten von LP oder CD der Sound klangästhetisch stereophon aufbereitet wurde, ist es seit 25 Jahren als mp3 nur noch ein gelenktes Geräusch.

Tonstudio an der Ruhr, historische Aufnahme – Das Urheberrecht für dieses Photo liegt Andreas Mangen.

Vielleicht sollte man nicht immer nur auf „Markttauglichkeit“ spekulieren, sondern auch auf die Künstler hören.

Neben dem „kleinen gallischen Dorf“ gibt es auch „Bad“ Mülheim im Ruhrgebeat. Hier finden sich noch der künstlerische Willen zur Aufsässigkeit. Die Edition Das Labor lanciert auf der Plattform vordenker.de mit MetaPhon eine Reihe, in der Facetten der multimedialen Kunst und des Hörbuchs zugänglich gemacht werden, die nach den herkömmlichen Marktgesetzen unerschlossen bleiben. Der Markt wird entmystifiziert. Das aufgeklärte Publikum erwartet Künstler, die den Vorhang aufreißen, um in anderen Formen zu erzählen.

 

 

Home Taping Is Killing Music war eine Kampagne der British Phonographic Industry. Der Slogan war meist als Aufkleber auf Plattencovern zu finden.

Weiterführend → 

Laut Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“. Lesen Sie dazu auch den einführenden Essay aus dem KUNO-Archiv.

Herr Nipp erhebt Einspruch, 1986 wurden zum ersten Mal mehr CDs als Schallplatten gekauft. Nun hat Vinyl die CD wieder überholt. Die Redaktion läßt nach diesem Pro auch ein Contra zu Wort kommen.

→ In Düsseldorf betrieben A. J. Weigoni und Frank Michaelis im Akademie-Umfeld mit der Literatur eine multimediale Hörspielerei zwischen Performance, Theater und Lesung. Bereits 1991 legte dieses Duo die zum Schlagwort gewordenen Literaturclips vor (der Claim für Klangbücher war noch nicht abgesteckt). Den Hörbuchpionieren kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.