Mitten auf dem Markt in Leipzig ist ein Loch. Es ist so tief, dass der Taugenichts den Grund nicht erkennen kann. Ein unglaublich ungepflegter Bagger steht unmittelbar daneben, er muss wohl einmal gelb gewesen sein. Ein wenig weiter ein nagelneuer Tanklaster, von dem aus ein schwarzes, flexibles Rohr zum Loch hingelegt worden ist, in dem es verschwindet. Der Tanklaster macht einen Höllenlärm. Ein ungepflegter, hässlicher Bagger, der schweigt, ein hochglanzpolierter Tanklaster, dessen Motor brüllt. Drumherum eine Baustellenabsperrung, sehr modern, rotweiße Plaste mit fest installierten Lampen, die gelb blinken. Ganz früh am Morgen. Kein Mensch zu sehen. Das Rohr verschwindet in tiefer Dunkelheit, buchstäblich. Ob hier etwas hinein- oder herausgepumpt wird, ist aber nicht recht klar. Plötzlich erstirbt der Motor des Tanklasters, ein paar glucksende Geräusche, dann Totenstille. Man könnte eine Haarnadel fallen hören. Klar ist aber noch immer nichts, denn entweder ist das Loch voll und der Tank leer, oder der Tank ist voll und das Loch leer, oder aber der Tank ist leer, das Loch aber bei weitem noch nicht voll, oder der Tank ist voll, das Loch aber noch nicht leer. Er geht zum Tanklaster.
Aus dem Motorraum dringt eine wabernde Hitze, es riecht nach Öl und Diesel und Schmierstoffen, nicht aber nach Männerschweiß. Oder doch? Er hat so eine Ahnung. Er sieht sich ganz verzerrt im Chrom des Tanks. Der Laster macht was her, keine Frage. Lange Motorhaube, für den Highway konzipiert. Eine riesige Schlafkabine. Alles dunkelblau lackiert, metallic. Alle Wetter, denkt er. Und Sternchen drauf. In Gelb. Wer damit keinen Eindruck schindet, dem ist nicht zu helfen. Die ersten Passanten tauchen auf und gehen quer über den Markt. Schlecht angezogene Leipziger und Pendler aus dem Umland, die für die besser angezogenen Leipziger fleißig die Drecksarbeit machen. Selbst die Jüngeren sehen nicht wirklich jung aus. Alle tragen Turnschuh und Röhrenjeans und diese Anoraks.
Die ganze Nacht ist der Taugenichts in Leipzig herumgestiefelt, der Altstadt, alles tote Hose. Eine Bar irgendwo mit roter Leuchte, in der aber nur alte Männer. Eine überfahrene Taube, ganz platt. Es gibt Städte, da ist nachts mehr los. Dann aber der Bagger und der Tanklaster und das schwarze Loch. Das Abenteuer beginnt.
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Tauge/Nichts. Erzählender Essay von Norbert W. Schlinkert. Mit einem Nachwort von Martin A. Völker
Um nichts in der Welt darf ein Taugenichts dort bleiben, wo ihn sein Taugenichtssein ereilte, wo es ihm zugefügt worden ist. So verlässt er, sich zu retten, die heimatlichen Gefilde und sucht sein Glück anderswo. Doch der Schlinkertsche Taugenichts ist, im Gegensatz zu dem des Joseph von Eichendorff, weder naiv noch leichtgläubig. Dennoch aber jagt ein unglaubliches Abenteuer das andere, während er immer mehr in den Bann der eigenen Gedanken gerät. Er erinnert sich, an die Eltern, seine Jugend in der Provinz, aber auch an das Entdecken all der Taugenichtse in Romanen und Filmen, über die er staunt und von denen er lernt, bis ihm endlich luzide vor Augen tritt, welch eigene Haltung zur Welt er hat entwickeln müssen, um ganz und gar eines zu sein: Taugenichts.