Die Musealisierung des Rock and Roll

There’s a red moon rising on the Cuyahoga River

Rolling into Cleveland tot he lake

Randy Newman

Es ist nicht nur für einen Soziologen augenscheinlich, dass Kultur seismisch auf gesellschaftliche Umwälzungen reagiert. Ob es sich um das Verrottete N.Y.C der 1970-er Jahre handelt, die nordenglischen Industriestädte, die im Niedergang befindliche Industrieregion in Ohio oder das Ruhrgebiet in der alten BRD. Cleveland war seit Mitte der 1970-ger Jahre eine Stadt im stetigen Niedergang. Viele Stahlfabriken und Produktionszentren machten dicht. Der Cuyahoga-River war so verschmutzt wie die Emscher, nur dass hier seine brennbare Oberfläche 1952 und 1969 Feuer fing. Die Industrie hatte jahrzehntelang insbesondere den Fluss bedenkenlos mit ungeklärten Abwässern belastet, nun standen kostspielige Umbauten an, die sich die Eigentümer vielfach nicht leisten konnten oder wollten. Viele Betriebe mussten schließen. Umweltstudien warnten, dass auch der Eriesee im Sterben lag. Mit dem Niedergang der Schwerindustrie verlagerte sich der ökonomische Schwerpunkt der Stadt im Laufe der Jahrzehnte zunehmend auf die Dienstleistungsbranche. Mittlerweile sind die größten Arbeitgeber in diesem Sektor zu finden, vornehmlich bei Banken, Versicherungen, im Öffentlichen Dienst und im Gesundheitswesen, dort vor allem bei den Universitätskliniken und der renommierten Cleveland Clinic. Auch der Tourismus hat an Bedeutung gewonnen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Gründung des Museums „Rock and Roll Hall of Fame“.

25 Jahre Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland (Ohio)

Nachdem Kohle und Stahl abgewirtschaftet haben, verdeutlicht nichts den elenden Zustand des Rock and Roll mehr, als die „Rock and Roll Hall of Fame“. Es soll ein Museum für die wichtigsten und einflussreichsten Musiker, Produzenten und Persönlichkeiten – der analogen Ära – im Umfeld des Rock´n´Roll sein, das im September 1995 eröffnet wurde. Seit 1986 wird jedes Jahr eine begrenzte Anzahl neuer Mitglieder in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen, wobei die Aufnahme frühestens 25 Jahre nach Erscheinen der ersten Schallplatte des Künstlers erfolgen kann. Die Auswahl der Persönlichkeiten erfolgt durch ein Komitee von Musikhistorikern. Eine ehemals rebellische Form der Musik geht in ihre strukturkonservative Phase über.

The Moondog Rock & Roll House Party

Nachdem Mitte der 1980er-Jahre auf Anregung Ahmet Ertegüns, des Gründers von Atlantic Records, Leute aus der Musikindustrie begonnen hatten, sich über eine Rock and Roll Hall of Fame Gedanken zu machen, und ein Nominierungskomitee gegründet hatten, traten Vertreter der Stadt Cleveland an sie heran, um ihre Stadt als Standort für ein entsprechendes Museum anzupreisen – unter anderem mit dem trifftigen Argument, der Begriff „Rock ’n’ Roll“ sei 1951 von dem aus Cleveland stammenden Discjockey Alan Freed und der von ihm moderierten nächtlichen Radiosendung The Moondog Rock & Roll House Party geprägt worden. Hier dürfte es passen: „Rock ’n’ Roll“ is comming home!

Die Konzeption dieses Gebäudes soll die Energie des Rock ’n’ Roll widerspiegeln

Die Rock and Roll Hall of Fame und das Museum öffnete – nach einer feierlichen Eröffnungszeremonie am Vortag – am 2. September 1995 erstmals seine Pforten für Besucher. Das Gebäude für das Museum hat der Architekt Ieoh Ming Pei (der schon mit der Erweiterung des Grand Louvres einen Fingerabdruck hinterlassen hat) entworfen. „Die Konzeption dieses Gebäudes soll die Energie des Rock ’n’ Roll widerspiegeln“, so beschrieb der Schöpfer die Idee beim Beginn der Arbeiten. Das Gebäude stellt das Herzstück des North Coast Harbor von Cleveland dar, umfasst an die 14.000 m² und kostete 84 Millionen US-Dollar. Die Architektur des Gebäudes wurde u.a. ausgezeichnet mit dem „Award for Innovative Design and Excellence in Architecture Using Structural Steel“, das war bei dieser ehemaligen Industrieregion eigentlich auch zu erwarten.

Bei den Mitgliedern der Hall of Fame werden verschiedene Kategorien unterschieden:

„Interpreten“ sind die Musiker an sich, sowohl Einzelmusiker als auch Bands. „Non-Performer“ bezeichnet Personen, deren Verdienste nicht auf, sondern hinter oder neben der Bühne liegen, das bedeutet Songschreiber, Produzenten, Vertreter von Plattenfirmen und Journalisten. Unter der Kategorie „Früher Einfluss“ werden Personen aus der Vor-Rock-Ära geehrt, deren Werk Einfluss auf diese hatte. Schließlich wurde auch die Kategorie Studiomusiker eingeführt.

KUNO kann diese Institution erst dann ernstnehmen, wenn mit Pere Ubu die wichtigste Band aus Cleveland aufgenommen wird. Bis dahin wird sich die Redaktion auch weiterhin regelmäßig in das Neanderthal-Museum begeben. Erst wenn der Rock and Roll die Haltbarkeit einer Knochenflöte erreicht hat, wird die Redaktion diese Variante der Musik als Kulturgut ernstnehmen, bis dahin bleibt sie weiterhin bloß Pop.

 

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Rock & Roll Hall of Fame | Union Home Mortgage Plaza, 1100 Rock & Roll Blvd. | Cleveland, Ohio 44114

Welchen Wert Ieoh Ming Pei der durchsichtigen Fassade der „Rock and Roll Hall of Fame“ beigemessen hat, zeigt sich darin, dass er die Glaspyramide am Louvre in Paris einem Recycling unterzogen hat.

Weiterführend  Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet „Zappas Mothers of Invention“ als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bleys Escalator Over The Hill einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Gehört Miles Davis nicht dazu? Oder ist Fake Jazz das Eigentliche?

In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Hören den Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Unpeinlich Deutsche Texte von Ton, Steine, Scherben. Wir ertasten auf KUNO den Puls des Motorik-Beats. Und machen eine Liebeserklärung an die „7-Inch Vinyl Record Single“. Krautrock ohne angloamerikanisches Vorbild – lässt es auch die Kraaniche fliegen? Auf Embryo’s Reise entdeckten die Musiker zwar nicht Amerika, sondern die Weltmusik. Ist das noch Krautrock? – Eher Labskaus vom feinsten! – War David Gilmour ein Krautrocker oder ein verkappter Blueser?

Des Weiteren: Eine Sternstunde des Rock’n’Roll. Eine Betrachtung von Both Sides Now. Lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und im Vergleich dem Lizard-King. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. Erweiternd ein Porträt der Gorgeous Queen of Ruhrgebeat-Trash. Wir warten nach Heavy metal thunder nicht auf den Blitz, um den Göttern des Donners eine Referenz zu erweisen.

Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch eher der Garagenrock? – Lässt sich davon der verschwitzte Proto-Punk der New Yorker Proll-Combo ableiten? Oder hatte der testosterongesteuerte Punk gar eine Ur-Mutter? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Albums. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist, als die Band, die ihn produziert hat. Waren die Pistols die erste Boy-Group? Klingt die Trostlosigkeit des Rust Belt nach Punk oder Industrial Folk? Gegen Fresh Fruit for Rotting Vegetables hört sich alles andere wie Pop an. – Weitere ungelöste Fragen: Die The Ruts stellen mit einem Album das Lebenswerk von The Clash? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? Thrash Metal ist das Resulthat der Verschmelzung der Energie und Geschwindigkeit des Hardcore Punk mit den Techniken der New Wave of British Heavy Metal. Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk hätte werden können.

The oldest sister with transistors was Laurie Anderson. Ihre jüngere Schwester im Geiste ist ein isländischer Kobold. Charmant an den Ambient Chansons von Mona Lisa Overdrive sind die Stücke, auf denen die Sängerin Nicole Vogt dem Material mit einer etwas fernen, wehmütigen Stimme eine Seele einhaucht. Geschlagene 16 (in Worten Sechzehn) Jahre lang kursierten unter den gewöhnlich gut eingeweihten Szenenkennen diverse Gerüchte um das unveröffentlichte Album Gift aus dem Jahr 2000. Es sollte seinerzeit Pia Lunds zweites Solo-Album nach ihrer Trennung von Phillip Boa & The Voodooclub werden. Lundaland, ihr Solo-Debüt von 1999, hatte die Kultsängerin als elegante Vorreiterin des verspielten Elektrobeats etabliert. Der Pyrolator aus Berlin erhielt in Anerkennung seines Lebenswerks das Hungertuch für Musik 2013. Eigentlich könnte: Dylan gut ohne den Nobelpreis für Literatur weiterleben und -arbeiten. Er ist auch kein genuiner Kandidat, insofern er halt kein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, sondern ein Singer-Songwriter. (Heinrich Detering)

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe