kleine dinge mit seelen oder: im originellen wohnt auch sonderbares

 

der erzählband von joanna lisiak aus der schweiz enthält auf 356 seiten 263 texte, wenn ich richtig gezählt habe, zwischen 2 zeilen, titel mitgerechnet, und 5 seiten länge, überwiegend komische, ironische, satirische, paradoxe, absurde, groteske, heitere und humorvolle prosaminiaturen, bis hin zu sprachspiel und nonsens. die schweizer literatur hat eine tendenz zum sonderbaren und skurrilen, wenn man an jeremias gotthelf, johann peter hebel, robert walser, friedrich dürrenmatt, max frisch, sergius golowin, adolf muschg oder urs widmer denkt. in gebirgstälern konnten sich originale und eigenheiten über jahrhunderte hinweg besonders gut ausbilden und erhalten. oder gibts im gebirge die besseren zauberkräuter? vielleicht ist das phantastisch komische und komisch phantastische aber auch ein gegenimpuls zur betonten, und dabei teils bieder anmutenden, bürgerlichkeit, die inzwischen politisch weit nach rechts gerückt ist. dabei hatte walter benjamin noch vermerkt:

Die Schweiz hat wohl am längsten in ihren oberen Schichten Züge eines vorimperialistischen Bürgertums festgehalten.

an einigen stellen findet der leser schweizerische worte, wie etwa »vorgängig«, also vorausgehend, »pressant« und »Automobilistin«. pressant bedeutet überstürzt, eilig, französisch dringend, dringlich, nach lateinisch pressāre = drücken, pressen. heinrich heine verwendete das wort »pressiert« = bedrückt, bedrängt. um 1900 sprach man auch deutsch von automobilisten, ehe das wort in deutschland veraltete. französisch benutzt man automobiliste = autofahrer(in) ebenfalls bis heute.

selbstfahrende autos wären, wie immer man darüber denkt, die vollständige übersetzung des worts auto in die realität. den deutschen scheint das fahren derart wichtig, daß sie mehrere damit verbundene worte, die sie aus andern sprachen übernahmen, wieder verdeutschten. der passagier, altfranzösisch fährmann, schiffer, wurde zum fahrgast, billett zu fahrschein. fahrrad, bahnsteig und schaffner verdrängten veloziped, das heißt schnellfuß, perron und konduktor. und selbst fahrstuhl ist gebräuchlicher als lift.

das bild »Magma« von mariola lisiak auf vorderundrückseite des buches zeigt strukturen und zustände des feuers. schließlich kommt kreativität aus dem magmatischen inneren der seele. joanna lisiak betont das intuitive des gedankenflusses: »Die Erkenntnis, einen Gedankenfluss überhaupt zu haben und zu erleben, macht den Gedankenfluss zunichte.« in »Fragen« heißt es: »Wenn Fragen denken könnten, würden sie denken, daß sie fliegen.« die zu neuen ufern aufbrechenden fragen sind meist beweglicher als die antworten, die eher ihren standpunkt verteidigen. franz kafka verglich das schreiben mit dem reiten oder fliegen. fragenden, offenen, neugierigen und kreativen menschen fliegen ideen oft wie von selbst zu. man muß sie nur auffangen oder von den bäumen der phantasie pflücken. »immer wieder ist es möglich, dass die besten Ideen zu denen kommen, die damit entspannt umgehen und die Ideen zulassen. Eine einzige gute Idee genügt und ersetzt viele schlechte.«

in einem gespräch sagte joanna lisiak, deren einfälle vielfach aus ihrem intuitiven querdenken und ihrer querdenkenden intuition entstehen, daß sie in texten, die hier erzählend, szenenhaft, reflektierend und sinnunterwandernd sind, versuche, »das jeweilige optimale Haus für diese Idee zu bauen.« mit ihren büchern lädt sie dazu ein, solche literarischen häuser lesend zu besichtigen. manche ihrer miniaturen ähneln mit ihren pointen epigrammen, so »Gegenüberstellung«: »Benjamin beklagt sich bei seinem Kumpel Ferdinand, dass er immer wieder Hemdenknöpfe verliert und wie ihn das fertigmacht. Dieser aber winkt lässig ab und meint, dass das nichts im Vergleich dazu ist, was er regelmäßig verliert: Ganze Hemden nämlich.« man nennt die pointe auch den springenden punkt. und punkt ist mit bunt verwandt. viele punkte schaffen eine bunte welt.

»Gelegentlich neige den Kopf«: »Gläserne Blicke zu tauschen mit nüchternen Blicken, kann zunächst unmöglich wirken. Doch es ist möglich. Vergeblich sind tauschende Blicke nie. Es zählen blickende Blicke. So blicke in Blicke, ob gläsern ob nüchtern und neige den Kopf.« auch beim betrachten von bildern in ausstellungen ists günstig, wenn man den kopf neigt sowie die augen schließt und das gesehene wirken läßt, verinnerlicht und vertieft. mit wieder geöffneten augen sieht man dann vielfach noch etwas neues und anderes. freilich neigen ebenso vampire ihren kopf, um blut zu saugen.

vieles in diesem buch basiert auf alltagsbeobachtungen. in »Das Werk« umkreist der barkeeper, also getränkemischer, martin im café eine junge frau namens luise, die in einem buch liest und ihm gefällt. er spricht sie erwartungsfroh an, um mit ihr näher ins gespräch zu kommen, erklärt, auch er schätze die literatur, und erfährt dann den titel des buches: »Die asymbolische Fähigkeit des Deweyschen Systems unter Hinzuziehung algebraischer Operationssymbole zu Beginn des 20. Jahrhunderts«. die reaktion ist entsprechend: »Martin wurde blass und schluckte leer. Es wurde ihm regelrecht schlecht.« das angebot der frau war wohl zu hochprozentig.

wenn joanna lisiak in diesen texten einen aufklärerischen ton anschlägt, um allzu menschliches zu erklären, ahnt man, was meist kommt, nämlich etwas ironisches. in »Das Phänomen Ingeborg Bachmann Preis«, wo kränkung schnell der anerkennung folgen kann, jährlich zu sehen auf »3SAT«, betrachtet sie die jurorenundpreisanwärterrunde ethnopsychoanalytisch, oder kulturanthropologisch, und erkennt, daß sich noch heutige menschen unter ihren kulturschichten häufig verhalten wie frühzeitmenschen. »Viele Sonnen sind über einem Halbkreis Kreaturen aufgegangen. Ziemlich sicher ist das ein Ritual. Interessant ist zu beobachten, dass aus Furcht vor dem Feind fast alle in Tarnfarbe gekleidet sind.«, »Die Kreaturen der großen Gruppe sitzen auf Konstrukten aus Brettern und Pfählen. Die von Sonnen beleuchtete Minderheit hat zusätzlich größere Bretter mit Pfählen vor sich auf Brusthöhe. Schutzschilder vermutlich, wenn man sie angriffe. Sie verwenden die Schilder auch zum Stützen der Arme. Möglicherweise beten sie so.« und »Der Oberhäuptling muss jedoch sehr mächtig sein. Momentgleich bringt er alle zum Lachen und Raunen. Indem er seine Rede unterbricht, respektiert er offenbar seine Zöglinge. In seiner kurzen Pause nimmt er heimlich kristallene Göttermilch oder sonst einen Trank zu sich.« im gruppenverhalten wirken die genetischen anlagen unserer vorfahren stärker nach als individuell. wenn menschen ihre besonderheit vor anderen betonen wollen, neigen sie oft zu ritualen, die das besondere dann vielfach durch zu häufigen gebrauch abnutzen und entwerten.

in »Symposium«, worin die »Qual der Wahl« eine eigene bedeutung bekommt, treffen sich phobikerinnen und phobiker. die teilnehmer haben angst vor kosmos, himmel, radikalen abweichungen, arbeit, gerechtigkeit, wissen, poesie, langen wörtern, hippopotomonstrosesquippedaliophobie genannt, offenbar kann dieser begriff selbst die phobie auslösen, papier, weiß, purpur, 8-förmigen gegenständen, bei mir ist die acht wegen ihrer form die zahl der harmonie, musik, flöten, bewegung, springen, tanzen, fröhlichkeit, verwandten, jungfrauen, der aufforderung zum gehen oder hinsetzen, knöpfen, schnüren, nadeln, fleisch, huhn, eiern, gemüse, kohlköpfen, knoblauch, teufel, dämonen und vampire wurden einst mit knoblauch ferngehalten, verstopfungen, krätze, undsoweiter, also vom größten und heiligsten bis zum kleinsten und profansten. psychologen könnten noch manch andere phobie, also angststörung, nennen. es gibt auch eine angst vor und einen haß auf kreativität und originalität bei menschen, die dazu weniger fähig sind und sich davon beunruhigt, bedroht und abgewertet fühlen.

erstaunlicherweise fehlt die spinnenangst im »Symposium«. aber darüber wäre vielleicht ein eigener text zu schreiben. »Die schwarze Spinne« wohnt ja in der schweiz, jedenfalls bei jeremias gotthelf, in dessen texten es, oft verbunden mit christlich volksaufklärerischen und moralerzieherischen ambitionen, was ihn mit johann peter hebel verbindet, der etwa ausrechnete, wie lange eine kanonenkugel von der erde bis zur sonne fliegt, oder umgekehrt, manches sonderbare gibt. eine affinität hatten hebel und gotthelf, dessen romane und erzählungen später friedrich dürrenmatt anregten, so ähneln die energischen und rabiaten tatmenschen bei dürrenmatt gotthelfs figuren, zu jean paul, dem joanna lisiak mit ihrer spontanen und beweglichen phantasie nahe ist.

in »Ein Fisch« nutzt sie phantasievolle namen von fischen, die alle wirklich existieren, so »Breitflossenkärpfling«, »Mauschmerle«, »Phantomsalmler«, »Tüpfelantennenwels«, »Fünfgürtelbarbe«, »Teleskopfisch«, »Laternenträger« oder »Beulenkopf«. ähnlich phantasiereich, und damit bildhaft und farbenfreudig, sind schmetterlingsnamen:  »Blauschillernder Feuerfalter«, »Gelbwürfliger Dickkopffalter«, »Schwefelgelber Schmuckspanner«, »Achatspanner«, »Steinbrechwidderchen«, »Pflaumenzipfelfalter«, »Getupfter Vielfuß« und »Goldafter«. »Der braune Brom-Bär / Sog sich an den beerenblauen Vorderpfoten / Tief in den Winterschlaf.«, schrieb albert ehrenstein.

in »Temporäres schwarzes Loch«, und das ist weder ein fischname noch ein schmetterlingsname, gehen frauen durch eine glastür in einen laden und verschwinden teils stundenlang darin. ein mann beobachtet dies von einem gegenüber liegenden café aus. beim lesen dachte ich zunächst, da die motive bei joanna lisiak auch eine vertrautheit mit märchen zeigen, daß der ladenbetreiber vielleicht ein ritter blaubart sein könne, dessen motiv man bis ins 6. jahrhundert zurückverfolgen kann. doch dann tauchen die frauen wieder auf. denn der laden ist ein schuhgeschäft.

in »Später das Tanzbein« spielt das »Schimpanski-Quartett«. der erste primat im weltall, der »Schimponaut« genannt wurde, bekam nach seinem weltraumflug einen ehrenplatz in einem amerikanischen zoo. in meiner kindheit und jugend spielten im magdeburger raum drei geiger, die sich, wenn ich mich richtig erinnere, »Die drei Raben« nannten, ältere herren im schwarzen frack, die manchmal auch einer einzelnen dame ein ständchen brachten, in hotels sowie größeren restaurants und cafés kaffeehausmusik.

auch dinge werden mit empathie und einem staunenden blick beseelt und vermenschlicht. selbst das scheinbar oder wirklich nebensächliche ist gegenstand ihrer texte. dabei fällt die kleinheit vieler dinge auf, die gerade anregt und herausfordert, das originelle, und das komische, daran und darin zu entdecken, sowie die präzision einer knappen sprache mit charme. die sprache wird zum medium der dinge, die sprechen. der virtuose sprachrhythmus, der auch durch die kenntnis verschiedener sprachen, das experimentieren mit sprache und das ausprobieren unterschiedlicher schreibarten entstand, folgt zugleich einer intuition, die improvisieren läßt, sowie strukturen des denkens: »Dies merke«: »Leute, die Dinge bewegen, bewegen Leute, die Dinge werden bewegen. Ob heute, ob morgen. Sie werden.«

es gab und gibt immer noch läden oder kaufhallen, die »Tausend kleine Dinge« heißen, wo man vieles bekommt, das man insbesondere im haushalt braucht. und »Tausend kleine Dinge« könnte auch ein titel für die prosaminiaturen von joanna lisiak sein, die über ein großes sortiment literarischer gegenstände verfügt, denen sie sich zuwendet. noch genauer wären »Tausend kleine belebte Dinge«, »Tausend kleine Dinge mit Seelen« oder »Tausend Seelen, in Dingen verborgen«. der leser begegnet einem kugelschreiber, der wandern geht, um papier zu finden, zirpenden haarklammern, xylophon, schachfiguren, sofa, stuhl, tapete, glühbirne, weihnachtskugeln, mantel, pullover, knöpfen, schlüsselbund, boot, laterne, schaufel, hebeln, zirkel, kleber, einkaufstüte, gabeln, klöppelnadeln, kamm, creme, parfüm, zeitungen, einem filee, fleischbällchen, austern, birnen, honigmelonen, mandeln, rüben, erbsen, kapern, lorbeer. »Löblich«: »Löbliches Spiel zu knebeln mit Hebeln. Sehr löblich.« das verweist auf verwandte drückende bewegungen beim knebeln und hebeln. wie mögen solche texte entstehen? etwa so: bei haushaltsarbeiten hat der kreative und gebildete kopf überwiegend frei. und was macht er? er denkt über die kleineren oder größeren dinge nach, die ihm dabei begegnen.

»Das Sofa, von dem hier die Rede ist, ist bequemer als ein Stuhl, jedoch ausdrücklich ist es kein Sessel und keineswegs handelt er sich um einen Hocker, schon gar nicht ist dieses Sofa eine Couch, geschweige denn ist das Sofa ein Sofa überhaupt. Nein, dieses Sofa ist ein Bett.« man könnte als mögliche schlafstatt noch ottomane, diwan, kanapee, chaiselongue, wörtlich langstuhl, deutsch auch faulbett, sowie liege, klappbett, schlafsack oder, wenn sich gar kein anderes nachtnest mehr findet, teppich oder hängematte nennen. sofa kommt vom arabischen suffa = steinerner vorsprung, vordach, sims, womit das erhöhte sowie mit teppichen und kissen belegte podium bezeichnet wurde, auf dem orientalischen könige und fürsten saßen und ruhten.

französisch couche, wovon couch abgeleitet ist, bedeutet bett, lager, schicht, coucher sich hinlegen, niederlegen, niederstrecken, ins bett gehen, schlafen, untergehen (der sonne). auch die sonne legt sich, jedenfalls in der subjektiven menschlichen wahrnehmung, zur nachtruhe, wenn sie untergeht. ottomane geht auf den namen des türkischen herrschers osman I, oder otman, zurück, der vor 800 jahren das osmanische reich gründete. diwan gelangte übers türkische diwán = von großen sitzkissen eingefaßter empfangssaal, das aus dem persischen stammt, nach mitteleuropa, siehe französisch divan = empfangszimmer vornehmer türken, (liege)sofa. kanapee = sitzsofa kam übers französische canapé ins deutsche und meinte einst im lateinischen und griechischen worturspung ein himmelbett unter einem mückennetz.

in »Mensch und Stuhl« heißt es: »Der Stuhl sieht lediglich den Rücken des Menschen. Der Mensch wiederum sieht den Stuhl kaum. Weder der eine noch der andere kann, so vereint sie zusammen sind, einer mit dem anderen auf Augenhöhe kommunizieren, wenn der Mensch auf dem Stuhl sitzt und sich nicht umständlich umdreht.« man kann beim umgang mit stühlen auch etwas lernen. ich hab mich schon seit jahren nicht mehr auf meine fernsehbrille gesetzt. siegfried kracauer bemerkte, daß stühle und hüte im frühen film »zum Rang von Hauptdarstellern« erhoben wurden.

in »Creme« schreibt sie, mythen des alltags berührend, bei manchen frauen habe die richtige creme die religion ersetzt. religionen bekommen menschen meist durch ihre geburt mitgegeben, während man sich die creme selber auswählen kann. manche frauen favorisieren bis ins alter babycreme. wer in einem glauben erzogen wurde, findet nach glaubensbrüchen häufig immer wieder neue glaubengründe, weil die glaubensstrukturen erhalten bleiben und lediglich die glaubensinhalte ausgetauscht werden. so können auch profane gegenstände des glaubens, und zwar individuell wie kollektiv, an die stelle der sakralen treten, zumal viele menschen und menschengruppen das bedürfnis haben, an etwas zu glauben, das ihnen halt gibt. bei friedrich dürrenmatt heißts: »Wer an Gott glaubt, glaubt auch an die Medizin.« joanna lisiak erklärt: »Heute hingegen hört man distinguierte Leute verlautbaren, Creme sei das neue Weiß.« und »Teenager bevorzugen eher die Farbe Creme, als dass sie mit dem allzu puristischen, fabrikneuen Tintenweiß etwas anfangen können. Die Vorliebe für das reine Weiß kommt erst mit einem gewissen Alter.«

»Anweisung«: »Man zähle die Erbsen, die weichen, die kleinen, die faulen. Erbsen sind zählbar auf Tellern.« das assoziiert die erbsen oder linsen oder den mohn, der an rauschmittel denken läßt, in der asche im märchen vom aschenputtel, oder aschenbrösel. vielleicht war aschenputtel ursprünglich eine magierin und meisterin des feuers, was ihren letztendlichen erfolg erklären könnte. feuer oder herd waren einst das zentrum einer menschengemeinschaft. polnisch heißt aschenputtel kopuszek, von kopec = ruß, rauch, siehe auch kopcić = qualmen.  der schweizer schriftsteller sergius golowin schrieb: »Das französische Aschenbrödel sitzt auf einem Aschenhaufen und „sucht in den Ritzen des Kamins“. Dort findet sie, offenbar als Geschenk eines freundlichen Herd-Geistes, „einen goldenen Schlüssel“, dank dessen sie die schönen Kleider erhält, mit denen sie den Ball des Prinzen besuchen kann.« zwerge mögen erbsen ganz besonders, während kümmel sie krank macht. »Man weiß, was man will«: »Ein Klops verlangte den Klaps und den bekam er auf flapsige Art. Und siehe: er wuchs.«, eventuell auch weil er seine nährstoffe aus der wortwurzel von klops bezog. denn der klops ist der geklopfte, nicht zu verwechseln mit »dem Bekloppten« in »der Klapsmühle«.

der text »Von Motten zu Läusen zu Flöhen«, »Nicht alle Motten sind bigotte Motten. Nicht allen Läusen hapert es an Bildung. Nicht alle Flöhe fassen forsch Entschlüsse.«, spielt mit vermenschlichungen von insekten. goethe erklärte: »Mäus und Ratten, Flöh‘ und Wanzen / müssen alle beitragen zum Ganzen.« und »Hat doch der Walfisch seine Laus, / muß ich auch meine haben.«, roda roda »Die Menschen sind den Läusen näher als den Göttern.« insekten wurden sprichwörtlich und literarisch in früheren jahrhunderten oft humorvoll, spöttisch, ironisch, satirisch und sarkastisch betrachtet. wahrscheinlich verarbeitete man so ihr vorhandensein im menschlichen leben. brannte ein haus ab, sagte man im deutschen: »Wenn das nicht gut ist gegen Wanzen.« elias canetti karikierte feldherren, indem er schrieb: »Napoleon, Wellington und Blücher, hoch zu Floh im Zirkus.« bei e.t.a. hoffmann ziehen flöhe, die als fröhliche tiere gelten, kleine kanonen, pulverkarren, rüstwagen und wagen mit historischen figuren hinter sich her und tragen flinten, patronentaschen, schwerter und säbel am körper. ein floh kann das 80-fache seines eigenen gewichts ziehen. andere tiere bei joanna lisiak sind weniger wendig. »Spaziergang«: »Ein geistesabwesendes, leicht aufgewühltes Nacktschneckchen tappte in ein Fettnäpfchen. Weniger gut, dass das Tierchen zuvor Filzpantöffelchen überzog.« wenn letztere bei nacktschnecken gerade mode waren, wäre die schnecke am leben kleben geblieben, weil sie modischem folgte.

die autorin betrachtet auch phänomene und erscheinungen als beseelte wesen, die so zugleich ausdruck eigener seelischer erfahrungen sein können. »Lautlos«: »Einmal trafen sich in einem gedämpften Raum die Stille und das Schweigen. Schön waren die beiden anzuschauen, wie sie klein und bescheiden nebeneinander kauerten, aus ihren großen Äuglein schwiegen und unmerklich doch friedlich ein- und ausatmeten. Die Stille war still und leicht. Das Schweigen war tief und schwer.«

der leser findet zudem sarkastische texte. »Tragödie«: »Ein Mensch kam mit vielen lockeren Schrauben auf die Welt. Mit den Jahren lernte er, sie eine nach der anderen nachzuziehen.« gemeinhin nennt man das erwachsenwerden. die kreativität bleibt dabei häufig auf der strecke. es gibt eben auch menschen, die zu viele feste schrauben haben, oder zu viele tassen im schrank, womöglich noch in reih und glied. joanna lisiak dagegen gewinnt ihre originalität immer wieder durch ihr freies spiel mit eindrücken, motiven und facetten, ihren eigenständigen blick darauf sowie die lebendigen und überraschenden bewegungen ihres wahrnehmens und denkens.

 

 

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Blempek ist ein Trick, der sich bewährt, von Joanna Lisiak, 2018

Weiterführend →

Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen Sebastian Schmidt und Joanna Lisiak. Holger Benkel denkt in einem Rezensionsessay über den sinn der wendungen nach. KUNO verleiht der Autorin für das Projekt Gedankenstriche den Twitteraturpreis 2016. Über die Literaturgattung Twitteratur finden Sie hier einen Essay.