Es gilt ein Zeugnis des schrägen englischen Humors zu bewundern. Der Londoner Verlag J.&E. Bumpus druckte es 1913 in einer Auflage von 100 Exemplaren- Erst 107 Jahre danach erscheint es auf deutsch auf dem Markt der kuriosen Bilderbücher. Ihr Autor, Vincent Cartwright Vickers (1879-1939), im Zivilberuf Direktor der Bank of England, und zugleich Schöpfer von grellfarbigen, fein ziselierten Tusche-Zeichnungen, gestaltete vorwiegend im Profil abgebildete Vögel unterschiedlicher Provenienz und ein geheimnisvolles Wesen. Es ist das Google, ein en face abgebildetes froschähnliches Tier, das sich als heimlicher Herrscher über die dargestellten Vögel erweist. Den Zeichnungen sind lustige Verse beigefügt, die Vickers für seine Kinder zur besseren Anschaulichkeit dichtete. Die Vögel zeichnen sich in ihrer künstlerischen Ausführung sowohl durch ihre exotische Anschaulichkeit als auch durch ihre ornithologisch fundierte Beschreibung aus. Ein Beispiel vermag diese ungewöhnliche Kombination von Kunstfertigkeit und naturwissenschaftlicher Präzision zu verdeutlichen. Es ist die Abbildung des Großen Totenschädeligen Steintrappers, der „am Strand entlang / Fossilien, Muscheln und Gebein [sucht].“ Worin besteht die visuelle Anziehungskraft der Vogelgestalt? Es ist der Kontrast zwischen dem auf den Betrachter zueilenden Vogel mit einem hellrotem Schnabel, einem Kopf, der einem Totenschädel ähnelt. und den gereimten Versen, die unter dem gerahmten Bild abgedruckt sind. Diese Kombination von grotesker Bildgestaltung und kinderleicht dahinschwebenden Versen ist bei allen Vogelgestalten zu beobachten. Sie flattern, fliegen, schreiten, krächzen, krähen, schreien, ruhen sich auf Stränden aus, beobachten ihre Nachbarn, picken nach Würmern, lassen sich sogar auf einen Kampf mit einer Schlange ein.
Einen besonderen Anreiz erhält der großflächig kartonierte Bildband – mit der Abbildung des Gogo auf dem Frontispiz – aufgrund der abgedruckten englischsprachigen Texte, die gemeinsam mit den deutschen Nachdichtungen von Harald Beck vor allem Kinder aller Altersstufen ansprechen. Beispiele dafür sind The Swank – Der Großkotz, The Flabbytoes– Die Schwabbelzehe, Hycokkalorum – Großzampano und nicht zuletzt The Gogo – Der Trolldich (oder Kamelvogel),der größte im ganzen Google-Land. Angesichts solch sprudelnder Phantasie bleibt nur noch die bizarr anmutenden Bezeichnung ‚google’ zu klären. Beck verweist in seinem Nachwort auf zwei mögliche Quellen: googling als die gurgelnde Laute eines Säuglings und das Verb google, das beim Kricketspiel den Effekt beschreibt, „mit dem der Werfer den Ball in eine schwer zu berechnende schlingernde Drehbewegung versetzen konnte.“ Vermutungen, die genialen Schöpfer der gleichnamigen Suchmaschine, Larry Page und Marissa Mayer, hätten sich dieser Quellen im Jahre 1998 bedient, weist Beck mit dem Verweis auf den mathematischen Begriff für ‚googol’, die Zahl 10100allerdings zurück. Ein Tatbestand, der nach Beck nicht ausschloss, dass die Erfinder von Google im Jahr 2002 bei ihren Tests, wie schnell Bücher zu scannen sind, Vickers’ Google Book als ihre erste Druckvorlage benutzten.
Mit dem vorliegenden Bild- und Textband, eine kongeniale Kombination von Vögelillustrationen und skurril anmutenden, begleitenden Versen, ist dem Reclam-Verlag eine deutschsprachige Erstauflage gelungen, die nicht nur leuchtende Kinderaugen ansprechen wird, sondern als preiswertes Geschenk auch in die Depots von Kunstbuchsammlern wandern wird. Und nicht zuletzt die Liebhaber des englischen skurrilen Humors erfreuen wird.
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