Anfang der 80er, als die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität noch schnöde ‚Universität’ hieß, pinselte in einer Nacht- und Nebelaktion die Studentenschaft ein gut 10 Meter großes Konterfei Heines auf die geschwungene Außenwand des Hörsaals 3A. Ein Mahnmal im wahrsten Sinne des Wortes, weithin sichtbar auf dem Campus, direkt am stark frequentierten Weg zur Mensa gelegen.
Flugs sah sich eine aufgeschreckte Verwaltung dazu veranlasst, diesen ungeheuerlichen anarchischen Akt zu tilgen und zu übertünchen. Wehret den Anfängen, dachte man sich wohl in den Amtsstuben. Und bloß keinen Gedanken an Gedanken abseits behördlich vorgeschriebener Wege verschwenden.
Womit die werten Damen und Herren jedoch nicht gerechnet hatten: Nach jedem kräftigen Regenguss trockneten die Farben und der Beton in leicht unterschiedlichen Zeiträumen. Statt, wie gewünscht, wieder Grau in Grau zu glänzen, tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts, für eine halbe Stunde der gute Harry Heine wieder auf.
Hämisch grinsend, wie mancher meinte erkennen zu können. Und das nach jedem Schauer. Als wiederkehrende Mahnung, nicht stets den gewohnten Gang zu gehen. Den ewig gleichen Trott, gleichförmiges Kontinuum des grauen Alltags. Sondern, und sei es nur für einen kurzen Moment, innezuhalten. Nachzudenken. Seine Gedanken zu ordnen. Zu gliedern und‚zergliedern’: „etwas (besonders ein organisches Ganzes) in seine Teile zerlegen (um seine Beschaffenheit zu ergründen)“. Gliedern, um zu gliedern, lat. „articulare“: Gedanken, die, artikuliert, zu Worte werden.
Man muss dann eigentlich nur noch den Mund aufmachen.
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Essays von Stefan Oehm, KUNO 2021
Die Essays von Stefan Oehm auf KUNO kann man als eine Reihe von Versuchsanordnungen betrachten, sie sind undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Er betrachtet diese Art des Textens als Medium und Movens der Reflektion in einer Zeit, die einem bekannten Diktum zufolge ohne verbindliche Meta-Erzählungen auskommt. Der Essay ist ein Forum des Denkens nach der großen Theorie und schon gar nach den großen Ideologien und Antagonismen, die das letzte Jahrhundert beherrscht haben. Auf die offene Form, die der Essayist bespielen muss, damit dieser immer wieder neu entstehende „integrale Prozesscharakter von Denken und Schreiben“ auf der „Bühne der Schrift“ in Gang gesetzt werden kann, verweist der Literaturwissenschaftler Christian Schärf. Im Essay geht die abstrakte Reflexion mit der einnehmenden Anekdote einher, er spricht von Gefühlen ebenso wie von Fakten, er ist erhellend und zugleich erhebend.