Zeremonie auf einem fremden Gebiet, alles verändert sich mit der Perspektive. Und wie viel Knoten hat der Wind? Wanderer auf Luftstraßen, hastig geschminkt, mit Taschen voller Tricks. Ich habe das Korsett sorgfältig zusammengelegt und eingepackt, man kann nie wissen, was man alles braucht. Entschuldigen Sie bitte die Kinder, wir fliegen über die Alpen.
In diesem späten Licht, dem Licht des Verblühens, das die Gestalten der Körper ausleuchtet wie Papier, wir verglühen auf gemusterten Stoffen, feines Gespinst, und der Blick auf den Park. Ah, diese Rosenbüsche, an meinen Fingern klebt noch ihr Blut. Rot und süß ist meine Lieblingsfarbe, und ein bisschen Schmerz gehört dazu.
Die Kinder streifen ihre Schuhe ab. Ich verschütte meine Worte, in einem Schwapp und fort, aus dem Fenster gegossen, ein glänzender Schauer aus zersplittertem Glas. Die Kinder kichern hinter vorgehaltener Hand. Ich stecke fest auf einem Silberstreifen. Mit flinken Fingern übe ich Erinnerungslücken, schiebe Leerzeilen ein, so eine Erleichterung, diese weißen Streifen, diese durchsichtigen, luftigen Zwischenräume. Es muss ja nicht immer alles eine Handlung haben. Die Kinder schnitzen kleine Figuren aus rohem Fleisch. Das ist eine Mehrzweckhandlung. Gefallen muss es mir ja nicht.
Wanderschaft von Zwirn und Gras, vernäht die Täler, säumt sie mit Gewitterwolken, ein Rütteln und Schütteln, wir schlitzen Wunden auf, Wasser, Wasser überall. Ich stehle Prophezeiungen und verbrenne sie. Wir brauchen eine Zukunft. Irgendein Sommer, oder was? Feuchte Tücher um den Körper geschlungen. Sonnenpartikel wirbeln durch die Luft, die Ventilatoren singen im Chor. Der Mond ist aufgegangen und schlägt Fieberblasen. Begonnen was schon zu Ende ist? Wo kommen wir denn da hin? Ich setze den Kindern Kopfhörer auf. Aber das nützt auch nichts. Bitte entschuldigen Sie die Kinder, wir fliegen über die Alpen.
Draußen ist April. Über den Alpen ist immer April. Den ganzen Winter und Sommer lang. Es ist immer Winter und Sommer in den Alpen. Es gibt keinen Süden und keinen Norden zwischen den Bergkämmen. Nur ein Oben und unten ist es umgekehrt. Diese Verunglimpfungen. Meine Temperatur fällt mit dem Wind. Ostwärts. Das ist gut für meine Nerven. Still, still, kannst du meinen Namen rufen hören? Im Windkanal flüstern die Ziegen. So ein Zischen und Brausen. Die Worte liegen flach gedrückt auf dem Bauch und halten die Luft an. Ein Faden durch das Ohr gezogen. Unverschämtes Glück.
Ich habe den Kindern Kuchen und Heimlichkeiten versprochen. Sie klatschen vor Freude in die Hände. Ich schlafe auf Lindenblütentee. Meine Pupillen ziehen in heißem Wasser hinter geschlossenen Türen. Der Winter döst zu meinen Füßen, ein großes, braunes Tier. Die Fische tragen Beeren im Maul. Die Fische kommen mir nicht ins Haus. Unter der Eisdecke frieren die Füße. Hingeträumter Schnee, fällt, fällt, über den Alpen in alphabetischer Reihenfolge, durch und durch sorgsam vernetzt, draußen weiß gewaschen die Wochen, zerreißen auf den Bergkämmen, einzelne Tage bleiben hängen, wie eine Erinnerung, in schäbigen Hinterzimmern tätowiert.
Ich spiele Mensch ärgere dich nicht mit den Kindern, in 10.000 Metern Höhe sagt der Kapitän, die Alpen, durch den Korridor, und draußen minus 50 Grad. Süßstoff als Tauschgeschäft, gefräßige Mäuler atmen Frostkätzchen an die Fensterscheiben, kreisrunde Atemlöcher in das Eis gesägt, Schneewölkchen auf den Zähnen, den winzigen, stecknadelgroßen Zähnen, schmelzendes Himbeereis leckt die Zunge. Wie viele Flüge verträgt mein Kleid? Ich hänge den Kindern Kirschen an die Ohren. Das kitzelt und sie lachen sich halbtot. Rot und süß. Entschuldigen Sie bitte die Kinder, wir fliegen über die Alpen. Wer weiß, wo wir jemals ankommen werden…
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Reissalon, Erzählungen von Patricia Brooks, edition taschenspiel, 2016
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Lesen Sie auch das Porträt der Autorin. Ein Kollegengespräch mit Patricia Brooks finden Sie hier.