Am Ende und am Anfang, da ist immer eines: Brennen. So auch jetzt. An diesem 30. Mai 1431.
Ketzerin, sagen sie, als man sie aufrichtet. Die, die man Jungfrau nennt. Die mit dem heiligen Augenaufschlag. Die im Körper einer einfachen Bauernmagd steckt. Früher rotwangig, jetzt blass, auf dem Place du Vieux-Marché in Rouen. Und überall: Brennen. Ja, Flammen auch in den Mündern der Menschen. Lauffeuer, von Lippe zu Lippe springt der Funke über: »Die Jungfrau! Sie wird hingerichtet!« So viele Zuschauer wie möglich sollen Zeugen ihres Todes sein, oder? So zumindest will es die Regierung, ja? Eben noch krank in einem Gefängnis weggesperrt, diese Frau, munkelt man im Dorf. Und weiter: dass der König keinesfalls sehen wolle, dass sie einfach so sterben würde. Eines natürlichen Todes. Darum ordnete man noch schnell diese Hinrichtung an! Sie muss inszeniert werden, auch, wenn sogar die Richter weinen. Auch, wenn die Mehrzahl der Zuschauer schaudert und sich tief bewegt zeigt. Jetzt hat es einfach zu sein, es führt kein Weg daran vorbei! Ja, der Earl von Warwick selbst soll gesagt haben: »Sie darf nicht eines natürlichen Todes sterben. Unser Herrscher schätzt sie zu sehr, jetzt, nachdem er sie doch so teuer erkauft!« Grausig ist der Beruf des Henkers, meint man. Aber dieser hier, der jetzt vor dem Mädchen steht, das Johanna heißt, es an den Pfeiler kettet: Er schaudert. Im Wissen, dass er verdammt ist, als er die Jungfrau vor sich sieht. Im Wissen, er würde schon bald eine Heilige hingerichtet haben. Aber was hilft es: Pflicht ist Pflicht! Man beobachtet ihn, beobachtet sie, die Jungfrau, von außen: ihren Lidschlag, ihr Zittern.
Wer liebt, tanzt mit dem Tod. Er lernt nach und nach alle Schritte Gottes, sagt sich Johanna, doch die Stimmen schwei-gen dazu. Angespannte Stimmung. Aufgerissene Münder. Sie ist mit einem Mal eine Drehtür ohne Richtung. Gelber Sand im Hirn. Sie ist nicht in sich. Ist bloß nebenan. Danach das Knistern von Flammen, ein Schicksal ist besiegelt. Sie brennt. Johanna brennt. Um sie herum neugierige Blicke, die sie würgen. Doch sie erkennt schon nicht mehr. Welt hinter Vorhang. Nebel und Rauch. »Ich bitte Gott, dass meine Seele einmal an dem Ort sein wird, dort, wo, wie ich glaube, diese Frau jetzt sitzt!«, wispert da einer der Priester. Dann Stille und das Knistern von brennendem Holz. Später mag der eine oder andere Soldat eine weiße Taube aufsteigen gesehen haben. Das ist alles. Johanna ist indes verbrannt.
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1431, Roman von Sophie Reyer, Czernin 2021
Johanna wächst während des Hundertjährigen Krieges in einem kleinen französischen Dorf auf. Sie hat Visionen, die sie immer stärker prägen, bis sie dem Fanatismus verfällt. Mit zunehmendem Alter erkennt Johanna, dass sie für ihre Heimat und ihre Überzeugung kämpfen muss, und wird schließlich zur französischen Nationalheldin.
Eine alte Prophezeiung besagt, dass eine Jungfrau die Welt retten würde. Und Johanna, ein von Visonen getriebenes Mädchen aus der französischen Provinz, weiß, dass sie diese Prophezeiung erfüllen wird. Doch sie gerät in einen Strudel aus Hinterlist und Verrat, dem sie nicht entkommen kann. Kurz vor ihrer Hinrichtung trifft sie im Verlies auf Nicolas Loyseleur, ihren vermeintlichen Beichtvater. Dieser soll ihr ein Geständnis entlocken, wird aber selbst immer tiefer in ihren Bann gezogen.
Sophie Reyer erzählt meisterlich vom Erwachsenwerden und vom Niedergang Johannas – einer jungen Frau aus Orléans, die den konventionellen Erwartungen ihrer Zeit widerspricht und ihr Leben selbst bestimmt.