Freiheit im Spiel der Möglichkeiten finden

Entsprungen aus der Amenti \ ist der irdische Nil das getreue Abbild der Grossen Flut der Nut.

Aus dem ägyptischen Totenbuch

Kein Fluß ist so von Legenden umwoben, kein Fluß beherrscht so sehr das Land, durch das er fließt, wie der Rhein und eben auch der Nil. Diese Geschichte beginnt am Rhein. Eine zufällige Begegnung von Max mit Nataly verdichtet zu jener „sich ereignenden, unerhörten Begebenheit“, die seit Goethes Äusserung gegenüber Eckermann durch die Definitionsversuche der Gattung Novelle geistert. Auch Deutungsmacht endet.

Die Vignetten kommen mutatis mutandis als Novelle im Sinne Goethes daher, als der Beschreibung einer unerhörten Begebenheit.

Die Reise durch Ägypten führt Max mit Nataly zur Wiege einer großen Zivilisation, deren Bauwerke sie in Staunen versetzen. Man sollte in die literarische Weite dieser Novelle gleichsam einzutauchen und sich lesend, schauend und staunend treiben zu lassen. Reduktion, Konzentration und Klarheit: Diese Vignetten sind schmal, verdichtet, streng durchkomponiert und durchrhythmisiert. A.J. Weigoni definiert eine Literaturgattung neu, er praktiziert damit mehr als das Schreiben, diese Novelle ist ein Sich–Einschreiben in die Welt. Mit seinen Prosavignetten verstößt Weigoni gegen das Gebot: „Du sollst Dir kein Bildnis machen“. Seine 24 Bildnisse bestehen aus vielerlei Facetten. Und außerdem wird in den Vignetten wird alles Spätere präfiguriert, es blitzt die Kunst der Verknappung und die Wucht der schmerzhaft präzisen Sätze auf; und schließlich setzt sich aus zuvörderst disperat wirkenden Einzelteilen eine Geschichte zusammen. Das Handlungskonzentrat dieser Novelle bewegt sich auf der Zeitleiste zwischen Rhein und Nil, sie erhält sich das prekäre Gleichgewicht aus Schönheit, Spannung und Melancholie bis zum Schluß.

 

***

Vignetten, Novelle von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2009.

Schreibstab auf dem Cover von: Peter Meilchen

Weiterfühend →

Constanze Schmidt zur Novelle und zum Label. Ein Nachwort von Enrik Lauer. KUNO übernimmt einen Artikel der Lyrikwelt und aus dem Poetenladen. Betty Davis konstatiert ein fein gesponnenes Psychogramm. Aus Sicht von Margaretha Schnarhelt sind sie verdichtet, streng durchkomponiert und durchrhythmisiert. Über die Reanimierung der Gattung Novelle und die Weiterentwicklung zum Buch / Katalog-Projekt 630 finden Sie hier einen Essay. Ein Hörprobe findet sich hier. Mit einer Laudatio wurde der Hungertuch-Preisträger Tom Täger und seine Arbeit im Tonstudio an der Ruhr gewürdigt.