Also, ich musste wieder auf ein paar Tage nach Zürich. Es war ganz schrecklich. Aus Nervosität darüber hatte ich mich das gesamte verlängerte Wochenende über so unwohl gefühlt, dass ich unter starker Verstopfung litt. Dazu muss ich sagen, dass ich vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben hatte, die ich aus irgendeinem Grund, der mir nun nicht mehr einfällt, ›Faserland‹ genannt hatte. Es endet in Zürich, sozusagen auf dem Zürichsee, relativ traumatisch.
Christian Krachts neuer Roman beginnt mit einer Erinnerung: vor 25 Jahren irrte in Faserland ein namenloser warenfetischverliebter Ich-Erzähler (war es Christian Kracht?) durch ein von allen Geistern verlassenes Deutschland. Der Ich-Erzähler ist ein namenloser Endzwanziger und der Sohn einer reichen Familie, der von Nord nach Süd durch Deutschland und weiter in die Schweiz fährt bzw. fliegt. Dabei ist er mehr unfreiwilliger Zuschauer als Teilnehmer der geschilderten Ereignisse. Von Sylt aus erreicht er nach Aufenthalten in Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, München und Meersburg am Bodensee schließlich Zürich. An jedem dieser Orte erlebt er exzessive Alkohol-, Drogen- und Sex-Partys, die von den Teilnehmenden nicht mehr als positive Erlebnisse erfahren werden, sondern lediglich Ausdruck ihrer Hoffnungslosigkeit sind. Der Protagonist beobachtet die Dekadenz seiner Generation – am ausführlichsten veranschaulicht am Beispiel eines wohlhabenden Jugendfreundes, der in der Villa seiner Eltern am Bodensee eine Luxusparty veranstaltet und anschließend Suizid begeht – und registriert, während er gleichzeitig eigene Kindheitserinnerungen reflektiert, auch seinen persönlichen Niedergang. In Eurotrash geht derselbe Erzähler erneut auf eine Reise – diesmal nicht nur ins Innere des eigenen Ichs, sondern in die Abgründe der eigenen Familie, deren Geschichte sich auf tragische, komische und bisweilen spektakuläre Weise immer wieder mit der Geschichte dieses Landes kreuzt.
Autobiography sells!
Matthias Wittig
Pünktlich zum Erscheinen des Romans gab Kracht der SZ ein Interview, das erstaunlich redefreudig ausfiel, ein Kokettieren mit dem Echtheitssiegel. Die Quasi-Fortsetzung von Faserland handelt von einem Ich-Erzähler, der den Roman Faserland geschrieben hat, was naturgemäß zu Fragen nach dem autofiktionalen Charakter des Buches führt und ob Kracht wohl selbst diese Figur sei, was den Interview-Kracht sofort überfordert: „Oh Gott. Sie fangen ja gleich mit der schwierigsten Frage an“, stöhnt er. „Sagen wir also lieber, der Erzähler meines Romans spielt mit seiner eigenen Identität. … In all meinen Romanen gibt es eine bestimmte Stelle, in der sich der Erzähler vor einem Spiegel wiederfindet, oft ist es auch ein Doppelspiegel, in dem sich dann das gespiegelte Bild in der Unendlichkeit verliert. Und in meinem neuen Roman sieht sich eben nicht nur der Erzähler in einem solchen Doppelspiegel, sondern auch all meine anderen Romane werden formell zwischen den Buchdeckeln von ‚Eurotrash‘ imitiert.“
Dieses Druckwerk ist für den Leipziger Buchpreis nominiert worden. Was sagt das über die Bücher und was über die Kritik?
Mit dieser Faction testet Kracht erzählerischen Grenzen aus, es ist eine Versuchsanleitung mit Referenzen und Autofiktion, ein Versuch zwischen verlogener Selbstdarstellung und prosaischer Gebrauchsliteratur. Eurotrash ist angefüllt mit Verweisen auf die Biographie des Autors Kracht: einmal wird der Vater als „rechte Hand Axel Springers“ erwähnt (Krachts Vater war Generalbevollmächtigter der Axel Springer AG), an anderer Stelle erwähnt der Protagonist, dass er „vor 25 Jahren“ eine Geschichte namens „Faserland“ geschrieben hätte, die dramatisch am Zürichsee geendet hätte (Krachts Roman „Faserland“ erschien 1995, das dramatische Ende spielt freilich am Bodensee, am Zürichsee folgt nur eine Art Epilog, aber egal). Und natürlich kommt man nicht umhin, die Geschichte als Eins-zu-Eins-Übertragung des Autors auf die Figur Christian zu lesen. Diese schreibende Selbstvergewisserung erweist sich als journalistisches Produkt des täglichen Bedarfs. Das Genre „Autobiografie“ ist kein literarisches Genre, sondern eine Seinsweise – wer rezensiert schon gern Personen? Und wer braucht dafür noch Literatur?
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Weiterführend → Ist „Eurotrash“ auch Trash oder wie bei der sogenannten Pop-Literatur nur ein Eitikettenschwindel?
KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik .