Er hat noch Zeit bis zum nächsten Termin, gut eine Stunde, sitzt im Wohn- und Esszimmer und liest seine Wochenzeitung, die er seit einigen Monaten abonniert hat. Er mag dieses Blatt, er muss sich keinen Stress mit dem Lesen machen und kann in aller Ruhe über die Themen, die dort angerissen oder tiefergehend besprochen werden, nachdenken. Es ist ihm wichtig, Ruhe dafür zu haben, einige Tage vielleicht oder mehr. Wer hat schon den Luxus, eine Woche lang die gleiche Zeitung auf dem Tisch liegen zu haben, in die von Zeit zu Zeit ein Blick geworfen wird, ganz entspannt. Derzeit liegen die Druckwaren des letzten Monats herum. Er hatte auch einige Jahre lang eine Tageszeitung im Abo, aber das hat ihn zunehmend gestört. Die Tagesereignisse werden ihm ja ohnehin durch die allgegenwärtigen Medien um die Ohren gehauen, manche gar mit stündlichen oder minütlichen Aktualisierungen. Bestimmte Themen aber bedürfen einer weitergehenden Betrachtung. Zeitlicher Abstand ist eine besondere Qualität.
Er geht in einem Artikel auf, der die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas über Jahrzehnte bespricht und vergisst darüber die Zeit. Als der Wecker im Schlafzimmer ihn an den Termin erinnert, wähnt er sich tausende Kilometer entfernt.
Fast ein Jahrhundert wurde überblickt, ein enttäuschendes Ergebnis. Und am Ende die alte Frage, wohin der Kontinent im begonnenen Jahrtausend geht.
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Guppy im Gin, weitere Geschichten von Herrn Nipp. Edition Das Labor 2020
Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421