Nerven-Bündel (Derrid-a)

 

Das Sein ist nicht. Es hat kein eigenes Sein. Das Nichts ist nicht Nicht-Sein. Sondern Nicht-Sein. Die Sprache spricht die Sprache des Seins, das nicht ist, und nicht des Nichts, das nicht ist. Das Sein ist weder an sich noch für sich. Es ist nur für uns. An sich wäre ein Wesen, das kein Anwesen hat im Anwesenden. Es wäre überzeitlich, unveränderlich, immerwährend, immateriell.Für sich wäre ein Sein, das ohne uns wäre. Doch was wäre es ohne uns? Von wem oder was wäre das Wesen das Wesen, gäbe es kein Wesen, das sich das denkt, von dem das Wesen west? Von wem oder was wäre das Sein das Sein, gäbe es kein Sein, dem etwas ein Sein ist? Der Stuhl, der Tisch, der Fernseher ist für uns. Für sich ist er, er und er, also ohne uns, bestenfalls irgendetwas. Aber kein ‚Stuhl‘, kein ‚Tisch‘, kein ‚Fernseher‘. Denn ohne uns hat er keine Funktion und keine Zuschreibung. Es gäbe dann überhaupt niemanden, für den der Stuhl, der Tisch, der Fernseher irgendetwas wäre. Niemand könnte etwas über ihn sagen oder schreiben. Weitergeben. Berichten. Wenn niemand ist, wer könnte dann noch wissen, und wem berichten, was ist und was nicht? Also: Kann etwas sein, das nicht ist? Ist das Sein der Dinge das Dingsein und wenn ja: ist es das gleiche Sein wie das Sein der Moral oder mentaler Entitäten und Prozesse und Abstraktionen? Wie kann etwas für sich sein, wenn es nicht selber sagen kann, dass es für sich ist, sondern nur wir das von ihm sagen können? Kann ein Tier für sich sein oder muss es sich seiner bewusst Sein? Hat ein Seiendes ein Sein? Ist etwas Seiendes? Oder ist das Seiende immer nur Anwesendes, Konkretes, Faktisches, real existente Entität, Stuhl, Tisch, Fernseher? Das Anwesen des Anwesenden, das Sein des Seienden: Wo ist die ontisch-ontologische Differenz, wenn kein Sein ist und das Nichts ein Nicht-Seinund ein Seiendes nur als etwas und dann auch nur für uns ist und zwar als ein etwas und das Etwas nicht mehr etwas sein kann, wenn keiner von uns mehr ist, sondern es nur noch allein ist ohne die für es ist was es für sie ist es aber nicht für sich sein kann weil es dann nur noch ist was es ist: nichts für niemanden.

(Ist das Sein? Ist das Sein? Ist das Sein das Wesen? Ist das Sein temporär? Kann das Sein für uns nicht das Sein sein sondern immer nur das Sein für uns sein? Lassen wir’s sein.)

 

 

 

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Freilauf, Miniaturen von Stefan Oehm, KUNO 2021

Die Miniaturen von Stefan Oehm sind eine Reihe von Short-Shorts, kurze Kurzgeschichten. Diese konzentrierten Prosastücke sind fast alle sind hintersinnig und mindestens doppelbödig. Einige bringen im Kopf des Lesers eine – kleinere oder größere – Welt zum Erblühen. Oder auch zum Verwelken.