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Zombie-Alarm im Sistiger Herbst 2010. Ich halte ein ansehnliches Prosabuch von A. J. Weigoni in Händen, staune über den unerwarteten Umfang. Nachdem ich im Internet lese, was Matthias Hagedorn über das Buch schreibt – Das Prosageflecht »Zombies« ist ein prismatisches Lichtspiel, das in vielen Facetten aufleuchtet: als leichtfüßige Komödie und ätzende Satire, als Fabel zur gesellschaftlichen Moral zu Beginn des 21. Jahrhunderts; es sind Geschichten eines Übergangs: vom Sozial- zum Individualstaat, von der Fürsorgegesellschaft zu Verhältnissen, die jeden auf sich selbst verweisen – bin ich naturgemäß mehr als gespannt, was diese Prosa mir zu bieten haben wird (außer Zombies). Ich wußte von der unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung des Buchs, aber daß es ein solcher Schinken ist, haut mich um, da ich Weigoni bislang als Autor eher schmaler Bücher kenne.
Wie schön wäre es, wenn in einer Jahreszeit einmal wieder ein Buch im Mittelpunkt stehen könnte, ein Buch, das alle lesen und das die einen schätzen und die anderen vielleicht nicht, und es gäbe mal wieder einen flächendeckenden Diskurs, der alle unter ein Dach brächte: Seit einigen Wochen prasseln die Bücher wieder wie dicke herbstliche Regentropfen ins Haus, worüber ich mich naturgemäß auch freue (wo ich den Regen so liebe), aber vor lauter Büchern … Oswald Egger wartet ja mit einem noch mehr als doppelt so umfangreichen, dabei höchst attraktiven Buch auf, und dieses Buch lese ich seit einigen Tagen und Nächten mit der größten Begeisterung. Weigoni wird sich also einige Zeit gedulden müssen, bevor ich Zombies lese. Sehen wir’s von der positiven Seite und sagen: Gut Ding will Weile haben.
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Einige Tage lang hatten wir hier in der Wolfskaul keinen Zugang zum Internet. Da werde ich – leider, leider – immer ganz schnell furchtbar kribbelig, und selbst die geliebten Lesestunden werden von einer (immerhin nur kleinen) Unruhe nicht verschont. All diese blöden (schönen) Abhängigkeiten in dieser verrückten Zeit nach 2000. Die Umstellung von DSL 1.000 auf DSL 6.000 ist mit einer Reihe blöder Umstände verbunden (von wegen verbunden!), aber jetzt jagen wir wieder, nachdem ich, der phasenweise Frustrierte, mehr als einen Tag lang telefoniere, kombiniere, investiert, mit und ohne Hilfe konfiguriere und installiere, mit den Botschaften in atemberaubender Lichtgeschwindigkeit um den Globus herum und zurück. Heißa.
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Ich lese A. J. Weigonis romanhaftes Prosamosaik Zombies – ein eigenstimmiges, originelles, starkes Stück Literatur – an vier aufeinander folgenden Abenden im späten Oktober. Die abschließenden Etappen erlebe ich, nachdem ich gegen 23 Uhr von einer rauschhaften Begegnung mit Ardbeg, Glenlivet, Knockando, Lagavulin, Macallan und Talisker zu Fuß durch den strömenden Regen trabend, unendlich beschwingt, nach Hause zurückkehre, als Crescendo, das den Boden beben läßt. Auch nüchtern betrachtet, macht sich von der ersten Seite an der Eindruck breit, an einem wuchtigen, in zumeist im Präsenz verfaßten, hieb- und stichfesten Parataxen (die, um des lebendigen Rhythmus willen, gelegentlich von Hypotaxen flankiert sind), von Idiosynkrasie, Ironie, Oxymoron, Paradoxon, Sarkasmus, Wortspiel, Zynismus – usw. – durchwirkten Stück in 65, die heterogensten Lebens[t]räume der mitteleuropäischen Großstadt bis in die unzugänglichsten Mauervertiefungen ausleuchtenden, aphorisierenden, dramatisierenden, konterkarierenden, persiflierenden, philosophierenden, ziselierenden Erzähl-Akten teilzuhaben, dessen ausgereifter Stil mich 320 Seiten lang total begeistert. Das ist neoneue Sachlichkeit, messerscharf beobachtet, haargenau recherchiert, denke ich, cool, glatt, professionell sezierende analytic fiction, die mit knallharten Sequenzen den zwischen allem und nichts changierenden Zeitgeist nach 2000 einfängt und mehr als Bestätigung dessen ist, was ich 2009 im Poetenladen über diesen ungarheinischen Teufelskerl Weigoni und dessen Vignetten schreibe. Ich empfehle »Zombies« als faszinierendstes, formidabelstes, fulminantestes, furiosestes Prosabuch, das ich 2010 aus dem deutschen Sprachraum gelesen habe, einer Reihe befreundeter Autoren, und Axel Kutsch schreibt mir nach der Lektüre der Zombies – und nie hatte er so recht wie heute: Selten ist unsere Gegenwart bisher so radikal und virtuos eingefangen worden. Dieses Buch überragt fast alles, was die deutsche Literatur unserer Tage an Prosa zu bieten hat. Ein Meisterwerk.
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Zombies, Erzählungen von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim, 2010
Weiterführend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.
Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von aus fixpoetry. Betty Davis sieht darin eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt darin hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.