Die Schrift ist meine Heimat. Heimat, aber gefährlich.
Peter Handke
Auch die Geschichte legt, so scheint es, legt gelegentlich eine Atempause ein. Was die Geschichtsbücher verschweigen findet sich im Roman Lokalhelden, das Politische ist bei Weigoni nur eine Fliehkraft unter anderen, Altbier, Sex und Liebe sind ihr ebenbürtige Mächte. In seinem zweiten Roman beschreibt er den Welt-Alltag zwischen zwei Epochen. Bei den diesem Roman geht es um das Weltganze, wie es einem schwafelnden, denkenden, lesenden Ich entgegenkommt, das in einem Brauhaus des glokalisierten Rheinlands sitzt und seine Wahrnehmung auf Empfang gestellt hat. In einer der irrwitzigsten Szenen dieses Romans lauschen wir in einem rheinischen Brauhaus in einem Trialog von drei unterschiedlichen Typen einer intellektuellen Arbeit an der Gegenwart, vielleicht sogar an der geistigen Situation der Zeit. Sicher darf man sich nicht sein, der Autor hält das gekonnt in einer irrwitzigen Schwebe.
Lokalhelden ist ein hartgesottener Heimatroman.
Der Roman spielt im ‚Scharnierjahrzehnt’ zwischen dem 9. November 1989 und dem 11.09.2001. Eine Zeit, von der Francis Fukuyama annahm, das Ende der Geschichte sei gekommen. Der Politwissenschaftler wiederholte in seinem Essay Gedanken, die Alexandre Kojéve bereits in den 1930er Jahren formuliert hatte. Letztgenannter legte eine eigenwillige, in Frankreich aber epochale Hegeldeutung vor. Friedrich Hegels Geschichtsphilosophie führt zu einem Ende im Sinne einer letzten Synthese, wenn es keine weltpolitischen Widersprüche mehr gibt. Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft überall durchsetzen würden. Mit dem Sieg dieses Modells endet der Kampf um Anerkennung und es entfällt das Antriebsmoment der Geschichte. Spätestens am 11.09. 2001 erkennt die westliche geprägte Welt, dass in islamischen Ländern eine andere Dynamik herrscht.
Nach der Glokalisierung
Wer lange und ausdauernd nachdenkt, dem öffnet sich die Tür zu einer Vergangenheit, die immer auch geträumt sein könnte. Mit dem Welt-Geist war im ‚Scharnierjahrzehnt’ nicht viel zu gewinnen, eher mit Intelligenz, nicht nur mit künstlicher, sondern, mit der humanen Intelligenz des Gegenwartsbeobachters. Sie lehrt wenig Erfreuliches über die Zeit zwischen dem Ende des kalten Kriegs und der asymmetrischen Kriegsführung. Neuen Medien, Neoliberalismus, die Unwirtlichkeit der Städte, die Ignoranz der Politiker, dies alles wird in den Lokalhelden gespiegelt. Wir besichtigen auf dem rheinischen Versuchsfeld Spuren, Relikte und Reliquien, das Übriggebliebene, kurz gesagt das, was eine Geschichte ausmacht. Weigoni vermeidet sorgsam abschließende Antworten, aber er misst bedächtig das Problemgelände der glokalsierten Welt aus. Vom Verschwinden zu handeln, schließt im Rheinland die Verschwundenen mit ein, denen dieser Romancier einfühlsame Porträts dieser Spezies widmet. Auf den Geist berufen sich, weil der Begriff so vielsagend ist, auch Schwätzer und Schwadroneure, folgen wir dem Erforscher von Trivialmythen in das Brauhaus und lauschen dem rheinischen Singsang der Nachfahren der Loreley.
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Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.
Weiterführend → Lesenswert das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Walther Stonet erkundet Altbierperspektiven. Conny Nordhoff erkundet die Kartografie. Zuletzt, ein Rezensionsessay von Denis Ullrich.