Vom Pixel aufs Papier

 

Das Netz hat unser Denken verändert, und damit auch die Literatur. Dichtung ist für mich immer ein Suchen, Versuchen, Verzweifeln, Irren und Überformen. Mit der Arbeit am Computer ist der Text jedoch weich geworden, man mag nicht mehr aufhören mit dem Überformen.

Meine Novellen (Anmerkung der Redaktion: damit hat Weigoni ausdrucklich die Vignetten mit eingeschlossen!) beschreiben einen Prozess der Internalisierung von Technologie, das Internet als Teil von uns – geistig, und zunehmend auch körperlich. Das geschieht vor allem durch das personalisierte Internet der Algorithmen, ohne dass wir es merken. Wenn der Leser dieser Zeilen bei einer Suchmaschinen nach demselben Begriff suchen, bekommen wir nicht unbedingt dieselben Ergebnisse geliefert, denn die Algorithmen rechnen im Hintergrund alle Informationen ein, die es über uns im Netz gibt, und die unterscheiden sich noch. Diese so genannten ‚Sozialen Medien’ liefern uns unterschiedliche, aber passgenaue Angebote, die Voraussetzung und Bestandteil unseres Entscheidens und Handelns werden.

Die angeblich unumgängliche Notwendigkeit des privaten Gebrauchs neuer Technologien, ohne die man bis vor kurzem ohne weiteres leben konnte, rationalisiert oft unbewusste psychische Impulse. Das Problem dieser Kommunikationstechnologien scheint mir, dass diese den Menschen eine Entscheidungsfreiheit suggerieren, die dabei zugleich verloren geht. Jede populäre neue Technik ruft zunächst massenhafte kulturelle und geistige Analphabetisierungen hervor, die erst wieder überwunden werden müssen, ehe nicht nur wenige die ideellen Potentiale der technischen Entwicklung ausschöpfen können.

Es gibt eine Ideologisierung von Verfechtern und Gegnern des Internets, daher findet keine kulturkritische Debatte statt. Wir verstehen nicht, dass es um den Eintritt in eine neue Zivilisationsstufe geht. Es geht nicht um eine neue Technik oder eine neue Kommunikationsplattform, wir müssen hinterfragen, was von uns als Individuum übrig bleibt. In Cyberspasz, a real virtuality radikalisiere ich das Problem so, dass wir am Anfang einer Zukunft stehen, die ohne uns auskommt.

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermonatge: Jesko Hagen

Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus fixpoetry. Betty Davis sieht darin eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt darin  hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.

Vignetten, Novelle von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2009.

Weiterführend → Constanze Schmidt zur Novelle und zum Label. Ein Nachwort von Enrik Lauer. KUNO übernimmt einen Artikel der Lyrikwelt und aus dem Poetenladen. Betty Davis konstatiert ein fein gesponnenes Psychogramm. Aus Sicht von Margaretha Schnarhelt sind sie verdichtet, streng durchkomponiert und durchrhythmisiert. Über die Reanimierung der instabilen Gattung Novelle und die Weiterentwicklung zum Buch / Katalog-Projekt 630 finden Sie hier einen Essay. Ein Hörprobe findet sich hier. Mit einer Laudatio wurde der Hungertuch-Preisträger Tom Täger und seine Arbeit im Tonstudio an der Ruhr gewürdigt.