A.J. Weigonis Prosatexte waren scharfsinnige sprachexperimentelle Gesellschaftsbeobachtungen und möglicherwiese sogar „Diagnosen“, ohne allerdings als lästige soziologische „Studien“ daherzukommen. Der eigenwillige Sound, die eigensinnige Schreibweise und ihr gesellschaftskritischer Ton machten ihn bereits in der BRD zu einem untypischen Schriftsteller von dem eine Zeitdiagnose eher nicht zu erwarten war.
A.J. Weigoni ist einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die die Aufgabe des kulturellen Sichtbarmachens voll und ganz beherrschen, ohne didaktisch den Finger zu heben. Seine Meisterschaft im Umgang mit Sprache und Metaphern zerrt das an die Oberfläche, was vor den meisten Menschen versteckt bleiben will.
Jessica Dahlke
Die im Alltag kaum noch wahrgenommenen Dinge vermochte Weigoni so darzustellen, als betrachte man sie wie zum ersten Mal. Mit den Vignetten definierte er eine Literaturgattung neu. Die Poetik der realen Virtualität, das als Spurenelement jeder Erzählung der Zombies innewohnte stieg in den Novellen Cyberspasz zu beachtlicher Konzentration an. Definierte dieser Romancier mit den Vignetten die Literaturgattung Novelle neu und analysierte zugleich den Somnambulismus der Welt, so oszillieren seine Novellen zwischen dem mokanten Blick einer zuweilen herzlich boshaften Zeitgenossenschaft und der Ekstase einer ins Innere der Erscheinungen zielenden Sehnsucht, zwischen den Wonnen der Gewöhnlichkeit und ihrer argwöhnischen Begutachtung. Weigoni stellte existenzielle Fragen nach dem Wesen der Wirklichkeit. Cyberspasz spiegelt die entfesselten Welten des Digitalzeitalters. Der ´virtual reality` zieht Weigoni in diesen Novellen die reale Virtualität der Poesie vor und plädiert für die Veränderbarkeit der Welt.
Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel-Reich-Ranicki.
Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht
In seinem ersten Roman stellte A. J. Weigoni die Welt auf die Vergänglichkeitsprobe. Zwischen November 1989 und März 1990 komprimiert sich deutsche Geschichte unter dem Druck der Ereignisse. Dieser Romancier verdichtete Realitätsfragmente zu Poesie. Er artikulierte in diesem Roman ein nichtpropagandistisches Sprechen, eine Erinnerungs- und Beschreibungssprache, die sich abhebt von dem, was man über die sogenannte Wiedervereinigung lesen mußte. Weigoni überwandt die Antifaschismusfalle der Deutschen Demokratischen Boheme inden er die Realität vom ersten bis zum letzten Kapitel durchdrang, Widersprüche aufzeigte, und auswies, wie sich Individuen im geschichtlichen Umbruch verhalten. Die Mauer erscheint als Metapher für den Kollektivwahn, der zum Ausbruch kommt. Der Erinnerungsdiskursroman Abgeschlossenes Sammelgebiet ist ein zeitloses Buch über ein paar Tage, die außerhalb der Zeit liegen.
Groß ist die Freiheit in der Bundesrepublik, aber noch grösser die Feigheit.
Marcel Reich-Ranicki
Auch sein zweiter Roman Lokalhelden ließ sich als Heimatroman der glokalisierten Welt deuten. Lokalhelden definiert den geschmähten Begriff ´Heimatroman` neu. Das Rheinland erscheint hier als eine in die Jahre gekommene BRD (Westdeutschland), eine angeschmutzte Provinz. Unter praktischen Gesichtspunkten qualifizieren sich die Bewohner dieses ´Retrotopia` (Zygmunt Bauman) als Lebensverpasser, sie schämen sich kaum, rutschen aus einer Problemlage in die nächste und erweisen sich auf diskrete Weise als schamlos. A. J. Weigoni war ein Meister der der unsentimentalen Empathie, als passionierter Menschenforscher lieferte er in seinem zweiten Gesellschaftsroman ein eierkohlenglühendes Stimmungsbild der deutschen Zustände der Achsenzeit mit ihren veränderten Verhältnissen, Ansprüchen und Wesensverzerrungen. Das Rheinland las mit geschärftem Sinn für die Vielschichtigkeit ihrer trivialen, zeitlichen Erscheinungen und ergründet die universelle Dimension dieser Region. Bei aller Ruppigkeit ist ihm das liebende Einverständnis mit seinen Figuren wichtig. Es geht bei den Lokalhelden um die Liebe zum Rheinland, es geht darum, die Seele der Region sichtbar zu machen, und letztlich um eine gelingende Aufklärung im Gedächtnis der Literatur.
künstlerische autoren sind gegenüber gebrauchsautoren, zumal in vulgärmaterialistisch verprägten oberflächenkulturen, immer in der minderheit.
Holger Benkel
Alle Exemplare seines Prosa-Werks sind handsigniert und limitiert und wie auch das lyrische Werk gleichfalls einer opulenten Schmuckausgabe als Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich. Nur darin enthalten ist der Band Vorlass. Es hat sich in der Literaturwissenschaft eingebürgert, für kurze Texte, den Begriff „Kleine Form“ zu verwenden. Dieses ´Beiwerkchen` verweigert sich der umstandslosen Zuordnung, es ist eine Gebrauchsprosa, die sowohl biographische, werkgenetische als auch poetologische Fragen beantwortet. Der Vorlass dient der Erschliessung der werkgeschichtlichen Dimension. Dieses Werk ist ein einmaliges Zeugnis einer bestimmten individuellen Konstellation, zugleich aber eine Realisation der Literatur insgesamt, jenes größten Erkenntnissystems.
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Der Schuber, Werkausgabe der gesamten Prosa von A.J. Weigoni, nur darin enthalten ist der Band Vorlass und die Doppel-CD 630 mit der letzten Lesung des Romaciers, aufgezeichnet im Tonstudio an der Ruhr. Edition Das Labor, Mülheim 2019