Ghouls

Wenn in den Erinnerungen, im Gedenken und in der Geschichte kein Platz dafür ist, kehren die untoten Ideen in die Gegenwart zurück.

George A. Romero

Als Erforscher von Trivialmythen ging A.J. Weigoni stets aufs Ganze, es ist eine fast irrwitzige Sehnsucht nach dem Absoluten und dem Extremen. Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit waren Fremdwörter für ihn. Er arbeitete extensiv mit Übertreibungen. Dank verschiedenster rhetorischer Hilfsmittel schaffte er es, Gegensätze zu vereinen: Sie erweisen sich sowohl als leicht und schwierig, amüsant und traurig, tiefsinnig und scheinbar unbeschwert. Das Schreiben wurde von einer quecksilbrigen, wie aufgeputschten Intelligenz vorangetrieben. In den Zombies überschritt Weigoni immer wieder Grenzen, Konventionen, Normen und Denkmuster. Seine Bilder waren oft düster, von radikalem Pessimismus und teilweiser Emotionslosigkeit geprägt. Er schrieb über die Nachtseite des Lebens, erzählt aus der Fülle und aus einer Mitte des ergriffenen Daseins heraus, und dies erfahrungsgesättigt von Menschen, die an der Geschichte zerbrechen oder am Unglück wachsen und die ein Leben lang mit ihrer Existenz ringen. Weigoni hielt dabei durchweg die Balance zwischen analytischer Distanz und emotionaler Nähe. Schrecken verwandelt sich in Schönheit. Selten ist vom Sinnlosen und Entsetzlichen so heiter und enthusiastisch erzählt worden. Ihm gelang es, das Absurde in unterhaltsame Form zu bringen, ohne die Dinge übermäßig zu überzeichnen. Seine Kunst versöhnte die leser mit der Vergeblichkeit des Lebens.

Gute Belletristik zeichnet aus, dass der Raum der Erzählung gleichzeitig verlassen und doch nicht verlassen wird durch einzelne Sätze, die wie Eisbergspitzen aus der Horizontlinie der Buchstabenkette herausragen.

Nick Haflinger

Der eigentliche Horror steckt in den Unzulänglichkeiten der Lebenden: Gier, Egoismus und die Unfähigkeit zur Erkenntnis der eigenen Lage führen zu immer neuen Katastrophen. In diesen Erzählungen sind gezielt unübersichtliche Bildern von Abriegelung, Isolation und Ungewissheit im neuen Deutschland untergebracht. An keiner Stelle hat es Weigoni mit dem Außerweltlichen seines hochintelligenten Plots etwas übertrieben, er schaffte eine Binnenspannung, die der fortwährende soziale Zusammenstoß zwischen den Lebenden und den Toten hervorruft und birgt die Erkenntnis, daß Zeit unwiederbringlich ist. Seine Zombies stehen wie Fremde vor ihren ehemaligen Leben, das so erloschen ist, wie sie es eigentlich selbst sein müssten. Darin besteht der eigentliche subtile Grusel seiner Erzählungen: Es ist der Horror der Innerlichkeit, des Verlustes und womöglich der Einsicht, daß Untote auch nur Menschen sind. Das Ephemere war naturgemäß omnipräsentes Thema seiner literarischen Arbeit, er untersuchte mit forensischer Aufmerksamkeit, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Es sind Erzählungen mit Matrjoschka-Charakter, in virtuos ineinander verschachtelten, zwischen historischen Ereignissen springenden Erzählpäckchen führte dieser Romancier sämtliche Schicksale und Handlungsstränge die er in den Zombies ausgelegt hat in Cyberspasz zusammen. Die Andersartigkeit dieser Erzählungen, jeder dieser Novellen, verlangt den Austritt der Leserin aus der bequemen Unmündigkeit eines bloßen Literaturkonsumenten.

Der „Tod des Autors“

Für Weigoni war Literatur der Versuch, die Zeitlichkeit zu transzendieren und das Wissen vom Tod erträglich zu machen; drum handeln die Erzählungen explizit oder implizit immer auch vom Tod. In diesem Fall jedoch nicht für den, durch den französischen Poststrukturalisten und Semiotikers Roland Barthes, angekündigten „Tod des Autors“. A.J. Weigoni ist von uns gegangen, seine Bücher aber leben, sie sind der Trost, der den Lesern niemand mehr nehmen kann.

 

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermontage: Jesko Hagen

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KUNO übernimmt zu den Zombies einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.

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KUNO übernimmt zu Cyberspasz Artikel von Kultura-extra, aus Neue Rheinische Zeitung und aus fixpoetry. Betty Davis sieht darin eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt hybride Prosa. Enrik Lauer deutet Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.