Bonn, 7.9. La Fontana

 

Lieber Herr Jo,

ich las „Candide“ in einer alten Übersetzung, die ich mit meinem Handy ergoogelte, als ich im Café Fürst bei meiner Alma Mater das croissant de lune verzehrt hatte. Es ging mir gut. Ich befand mich in der besten aller möglichen Welten. Dachte ich. Nach den ersten sieben Kapiteln kam ich ins Schwanken. Die Grausamkeit der Menschen und die Gewalt der Natur stimmten mich pessimistisch, zumal ich fand, dass die Welt von heute um keinen Deut besser war als die von gestern. Ich ‚klappte‘ das Buch zu, bezahlte, und ging zum Kaiserplatz hinüber, um dort in bessere Stimmung zu kommen. Unter seinem Balkon blieb ich stehen, weil ich spürte, dass sich Pirandello über das Geländer beugte, und schaute nach oben. „Il faut cultiver notre jardin“, rief er. Meinte er mich? Ich habe keinen Garten. Sprach er zu der ganzen Welt? Wollte er mir das Paradies zurückgeben? Ich entschied mich, in meine Welt zurückzukehren, in die beste aller möglichen Welten, und bestellte einen Capuccino.

 

 

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Pirandello-Geschichten, von Ulrich Bergmann + Selbstporträts, Damonte, Bonn 2021

Weimar ist nicht Bonn

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Auch in seinem Projekt Pirandellos nutzt Ulrich Bergmann das Postkartenformat. Mit seinen „Correspondenzkarten“ verschafft er den Lesern das Vergnügen von spezieller Twitteratur. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.