Lieber Stefan,
stell dir vor, Pirandello weiß alles! Ich war noch nicht vom Rad abgestiegen, ich bog gerade um die Ecke am Brunnen, da rief er über den ganzen Platz: „Sie wissen, wer heute Geburtstag hat?“ – Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders und sagte, indem ich von meinem Peugeot-Rad stieg: „Doch nicht etwa Sie, Signor Pirandell …?“ – „Nein nein“, sagte Pirandel, ich meine auch nicht Tolstoi, der hat heute auch Geburtstag …“ – „Wen dann, Signor Pirande?“ – „Sie kennen ihn, Signor Damonte“, sagte Pirand, „Sie kennen ihn gut, er ist ein bedeutender Maler …“ – „Ah“, sagte ich, „Sie meinen Stefano Beyer, Signor Piran.“ – Da grinste Pira übers ganze Gesicht: „Coretto, Signor Damonte, coretto!“ – „Meiner Seel‘, Signor Pir!“, rief ich, „Sie reden ja jetzt wie der leibhaftige Vater von Stefano Beyer!“ – „Der große Architekt?“, fragte Pi. – „Coretto!“, sagte ich, „aber sein Sohn ist noch größer als er.“ – „Hoffen wir es!“, sagte P, „hoffen wir es!“ – und verschwand. – Ja, hoffen wir es, dachte ich.
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Pirandello-Geschichten, von Ulrich Bergmann + Selbstporträts, Damonte, Bonn 2021
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Auch in seinem Projekt Pirandellos nutzt Ulrich Bergmann das Postkartenformat. Mit seinen „Correspondenzkarten“ verschafft er den Lesern das Vergnügen von spezieller Twitteratur. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.