Caro Signor Pirandello,
nun sind Sie wieder verreist, und schon fehlen Sie mir. Kaum waren Sie nach Sizilien aufgebrochen, stellte Ihr Vermieter einen Container vors Haus. Er baut seine Boutique um – in den nächsten Wochen entsteht dort eine Gin-Bar. Herr Vollmar junior verkauft dann statt Silber, Gold und Porzellan den von ihm kreierten „Rheinland Dry Gin SIEGFRIED“. Auf den europäischen Flughäfen ist das der Renner. Hinter den neun Buchstaben von SIEGFRIED, die in einem Quadrat von drei mal drei Spalten senkrecht und waagrecht angeordnet sind, sieht man die Weltesche wie einen in der Mitte gespaltenen Schatten, die kosmische Achse von Himmel, Erde und Unterwelt. Wenn Sie wieder in Bonn sind, Signore, liegt nur eine Treppe unter Ihnen ein Jungbrunnen, eine Auferstehungs-Bar. Was will man mehr? Sie werden quasi unverwundbar wie der gehörnte Siegfried, der im Siebengebirge, auf das Sie von Ihrem Balkon blicken können, den Drachen besiegte, und so werden auch Sie in der Nachfolge Siegfrieds zur mythischen Figur – auch alkoholfrei.
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Pirandello-Geschichten, von Ulrich Bergmann + Selbstporträts, Damonte, Bonn 2021
Weiterführend →
Auch in seinem Projekt Pirandellos nutzt Ulrich Bergmann das Postkartenformat. Mit seinen „Correspondenzkarten“ verschafft er den Lesern das Vergnügen von spezieller Twitteratur. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.