Es gibt keinen Tod. Das Leben endet nie.
Klingonisches Sprichwort
Zum 1. November gedenken wir auf KUNO nicht nur den „Allerheiligen“ sondern auch der Ketzer. Und diese sind, wenn sie nicht gerade Auftragsarbeiten des Papsttums ausführen, zumeist Häretiker. Die KUNO-Redaktion erinnert an drei Künstler, die einander in vielfältiger Weise verbunden und sich auf dem alten Holzweg befanden.
Jürgen Diehl liebte das Spiel mit Gedanken und Formulierungen, mit Einfällen aller Art – wenn sie nicht abgesichert waren.
Für Jürgen Diehl bedeutete eine Ausstellung zu machen: „Im Raum zu denken“ und dabei möglichst wenig formalen Beschränkungen unterliegen. Dieser Artist lebte bewußt zwischen allen denkbaren Kategorien. Sein künstlerisches Werk überschneidet sich nicht zufällig mit dem Expressionismus, dem Konstruktivismus, dem Kubismus und dem Surrealismus, dem Synthetismus und Fauvismus – aber in Wirklichkeit versagen die Ismen hier. Er experimentierte mit Inhalten, Formen und Techniken und überbrückte dabei die Pole von abstrakter und gegenständlicher Malerei. Wir sehen ungeometrische Faltungen in den Raum ragen und zu zellenartigen Strukturen verwachsen und dem Versuch ungegenständliche Malerei mit gegenständlichen Formen zu verbinden. Für Diehl war abstrakte Malerei eben nicht ein Ausweichen vor der drängenden Wirklichkeit, er wollte in seinen Bildern das Gefühl der Gegenwärtigkeit in einer zeitgenössischen Sprache ausdrücken. Es ging ihm darum, die engen Grenzen der Malerei zu sprengen und neue Felder zu erschließen. Bei der Wahl seiner Laufbahn schwankte immer sehr entschlossen zwischen Malerei, Literatur und Musik.
Poesie ist draussen, daneben, dahinter, jedenfalls immer abseits.
Paul Wühr
Getragen wird das künstlerische Schaffen von Jürgen Diehl von einem Bewußtsein der Endlichkeit, Menschen sind bloß Klangfiguren in Moll; alles, auch der Klang ist flüchtig, der Tod immer da und nah, überall Reflexionen von Krankenhausfluren, Kanülen, Beatmungsmaschinen, hinter jedem Aufblühen blüht ein Karzinom.
Eine Sicht auf das Werk von Jürgen Diehl finden Sie hinter diesem Link.
Es gibt keine allgemeinen Formen des Erinnerns, die Edition Das Labor hat das Vermächtsnis‘ von Peter Meilchen angenommen und macht kulturelle und biographische Zugänge zu seinem Werk recherchierbar
Mit der Fortdauer des Veränderlichen ist die Zeitlichkeit beschlossen – und mit ihr natürlich die Vergänglichkeit, das Abschnurren der Zeit, wie es in Peter Meilchens Werk mit lässigem Charme vorgeführt wird. Seine Photografien sind keine Momentaufnahmen von Realität, sondern komplexe Inszenierungen in einem umfassenden gesellschaftlichen Umfeld.
Was kann ein fotografisches Abbild leisten? Wie viel Innenleben kann es nach außen kehren?
Solchen Fragen hat sich Meilchen Zeit seines Lebens gestellt. Das Photo hört auf, die Wahrhaftigkeit des Dargestellten zu behaupten. Es ist kein Beweis mehr. Es geht um das Bild, nicht um die Wirklichkeit. So sind bei seinen Arbeiten eigenartige Verschiebungen entstanden, die doch aber auch eine gewisse Faszination auslösen. Diesen Effekt hat Roland Barthes mit dem “punctum” für das Betrachten von Photografien beschrieben: Der Reiz liegt oft in den unbeabsichtigten Nebensachen, einem Blick, einem Detail, das nicht ins Bild paßt und gerade deshalb besticht. „Was die Natur der Photographie begründet“, schreibt Roland Barthes in »Die helle Kammer«, „ist die Pose. Dabei ist die reale Dauer dieser Pose nicht von Belang; selbst während einer Millionstel Sekunde hat es immer noch eine Pose gegeben.“ Im Wissen um die Pose versucht der Peter Meilchen erst gar nicht, Inszeniertes zu kaschieren.
Aber muss nicht weniger als ein Analphabet ein Photograph gelten, der seine eigenen Bilder nicht lesen kann?
Der Moment, da man er den Auslöser drückt, ist bereits der Moment des Verschwindens. „Hat nicht der Photograph – Nachfahr der Augurn und der Haruspexe – die Schuld auf seinen Bildern aufzudecken und den Schuldigen zu bezeichnen?“, schrieb Walter Benjamin, in der Unfähigkeit mit Bildern umzugehen sah er den neuen Analphabetismus: „Aber muss nicht weniger als ein Analphabet ein Photograph gelten, der seine eigenen Bilder nicht lesen kann?“
Mit der Erkenntnis, daß in jeder scheinbar noch so objektiven Darstellung immer auch subjektive Wahrnehmung steckt, läßt sich niemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Daß die Frage nach der Wiedergabe von Realität noch immer ein interessanter Ausgangspunkt für Photografische Unternehmungen sein kann, zeigt Peter Meilchen. Bei aller Medienreflexivität und dem Bewußtsein für historisches Gepäck scheint er sich seinen persönlichen Vorlieben gern hinzugeben. Genau das macht den Reiz dieser Arbeiten aus. Er eignet sich die bildnerischen Verfahren seiner Vorgänger an, um Irritationen einzufügen, die wie ein mitunter sehr humorvoller Metatext funktionieren. Daher ist es nur konsequent, Schland zu transformieren und digitally remastered auf DVD anzubieten. Diese Umwandlung führte bei der analogen Photografie von der photografierten Realität ins digitalisierte Bild und befragt damit die Relevanz des Mediums. Das ist das Unvergleichliche an Peter Meilchens Kunst: Sie erträgt nicht nur die Vieldeutigkeit, ja sogar den Widersinn. Sie setzt die andere Möglichkeit der Deutung geradezu voraus. Man braucht sich nicht auf die eine und allein gültige Botschaft festzulegen. Seine Bilder sprechen zum Betrachter in vielen Sprachen. Erst wenn wir fähig werden, die zahlreichen und ganz anders lautenden Botschaften zu entschlüsseln, die das Kunstwerk bei umsichtigem Befragen aussendet, begreifen wir das Wesentliche. Vieles im Leben ist eindeutig und unmissverständlich. Damit haben wir uns letztlich abzufinden.
Meilchens Tod ist eine Zumutung, die wir bei KUNO nicht akzeptieren können.
Die Ursache dessen, dass das Urteil der Nachwelt
über einen Einzelnen richtiger ist als das der Zeitgenossen,
liegt im Toten. Man entfaltet sich in seiner Art erst nach dem Tode,
erst wenn man allein ist. Das Totsein ist für den Einzelnen
wie der Samstagabend für den Kaminfeger,
sie waschen den Russ vom Leibe.
Aus Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes
Am 26. Januar ist A.J. Weigoni von uns gegangen. Seit 2013 ist er nicht mehr mit einer poetischen Performance aufgetreten. Was die Redaktion erstaunt ist, warum es niemanden irritiert hat, daß Weigoni als letztes Buch einen Band mit dem Titel Vorlass veröffentlicht hat. Der Vorlass dient der Erschliessung der werkgeschichtlichen Dimension. Dieses Werk ist ein einmaliges Zeugnis einer bestimmten individuellen Konstellation, zugleich aber eine Realisation der Literatur insgesamt, jenes größten Erkenntnissystems. Weigoni selbst hat in seinem Testament festgelegt, dass die Asche auf einem anonymen Streufeld hinterlassen wird. In seiner letztwilligen Verfügung hat er ebenso festgelegt, das Privates in der Öffentlichkeit seitens der Nachlassverwalter in diesem Online-Magazin nicht thematisiert wird. Für ihn zählte nicht der Gossip in den elektronischen Medien, sondern allein das Werk. Hier zeigt sich etwas sehr altmodisches: „der Kunst zu dienen“.
A.J. Weigoni ist aus dem literarischen Leben geschieden, seine Bücher aber leben, sie sind der Trost, welchen den Lesern niemand mehr nehmen kann.
Weiterführend →
Lesen Sie auch den Nachruf über Peter Meilchens Lebenswerk und den Essay 50 Jahre Krumscheid / Meilchen über die Retrospektive im Kunstverein Linz und den Essay zum Buch / Katalog-Projekt 630.
→ Alle Gedichtbände von A.J. Weigoni sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch Gedichte in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.
→ Eine Werkübersicht über die akustische Kunst von A.J. Weigoni finden Sie in der Reihe MetaPhon.
→ Auch die Prosa von A.J. Weigoni ist in einem Schuber erhältlich. Und nur darin enthalten ist das Hörbuch 630 und der Band Vorlass.