Sprache ist Heimat

Mit dem Geburtsort wird auch die Muttersprache als Ursprung und Wiege des Ich gesucht, aber nur als eine ihm fremde gefunden. Letztendlich wird die gemeinsame Fremdheit von Fremd- und Muttersprache zu einer ausgewogenen – indes labilen – Vertrautheit. So wie das Findel in dem gleichnamigen Gedicht, ohne festen Boden unter den Füßen zu haben, „das Gleichgewicht zwischen den Lauten“ sucht. Anders gesagt: Das Leben wiegt schwer – die Dichtung wiegt es leicht. Im Sprachenmeer.

Alfons Knauth

Sprache ist Heimat, das ist wahrscheinlich der Grund, warum man sich in der Lyrik von Ines Hagemeyer sofort zu Hause fühlen kann. Nach Stationen in Montevideo, München, Bonn, Quito, Buenos Aires und Madrid hat sie sich auf die die Literatur der Gegenwart konzentriert. Ihr lyrisches Ich balanciert die Heimat im Fremdsein und das Fremdsein in der Heimat aus. Das allgemeine Diktum und das empfindungsreiche Nachsinnen wechseln sich ab. Aber Gedichte eignen sich nicht zur Lösung von Gleichungen. Hagemeyer arbeitet mit der Aleatorik und Kombinatorik ihrer Phantasietätigkeit, aber auch mit dem Gegenteil. Diese Lyrikerin schafft es, unsere Lebensrealität auf ihre ursprünglichen Möglichkeiten zurückzuführen und gleichzeitig weite, unvorhergesehene Verstehenshorizonte zu öffnen. Die Grammatik ist stimmig, wie so häufig bei jenen Schriftstellerinnen, die in einer Sprache schreiben, die nicht ihre Muttersprache ist. Der Inhalt ihrer Gedichte entsteht nicht durch den Reim oder durch die Form. Inhalt und Form gehen immer wieder neue Verbindungen ein, das System bleibt flexibel, dadurch absichtslos und formiert sich so an bestimmten Punkten neu. Diese Lyrik ist der geglückte Versuch dem Unmöglichen mit Sprache zu begegnen. Dichtung ist in ihrem Lebenswerk die Darstellung dieses Widerspruchs, der so alt ist wie sie selbst. Die Gedichte von Hagemeyer erzählen in nüchternen Worten von dem, was uns umgibt. Was fehlt. Was wir ergänzen sollten.

   

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Dichtungsring, eine Sondernummer für Ines Hagemeyer, Bonn, 2018

Weiterführend  Ulrich Bergmann mit einer Einführung in das Werk von Ines Hagemeyer.

 Fragen im Schlepptau, Gedichte von Ines Hagemeyer. Ludwigsburg: Pop Verlag 2021. Lesen Sie hierzu Kein Ankerplatz, nirgendwo.

 handverlesen: Gedichte von Ines Hagemeyer. Mit 15 Tuschezeichnungen von PAPI. POP-Verlag, Ludwigsburg 2015 – Lesen Sie hierzu ÜBER SCHATTEN UND NEBEL.

 aus dem Gefährt das dir Träume auflädt, Gedichte von Ines Hagemeyer, mit 14 Tusche-Zeichnungen von PAPI. POP-Verlag, Ludwigsburg 2011 – Lesen Sie hierzu Über den Welten hat.

 Es herrscht die Annahme, das Netzwerk sei erst mit dem Internet erfunden worden, es gab jedoch eine Zusammenarbeit von Individuen bereits auf analoger Ebene. KUNO dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck. – Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Bruno Kartheuser finden Sie hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.