Nunsploitation

 

Der Veteran des Edel-Trash hat sich dem Nunsploitation-Genre gewidmet. Paul Verhoeven erkundet die latente Sexualisierung des Jesus-Kults, insbesondere die Ikonografie des Nonnenfilms. Benedetta ist die Verfilmung von Judith Cora Browns Biografie „Schändliche Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance“.

Rasch eskalierende Entrückungsumstände

Paul Verhoevens Benedetta steht steht in der jahrhundertealten Tradition der Erzählungen über fehlgeleitete, geschändete oder sexuell abartige Ordensschwestern. Beispiele dafür finden sich bei Giovanni Boccaccio (Il Decamerone, Pietro Aretino (Ragionamenti) oder Denis Diderot (La religieuse). Der Höhepunkt von Nunsploitation-Filmen findet sich in entsprechenden italienischen Produktionen aus den 1970er Jahren. Dabei profitierte man von dem gesunkenen Einfluss des Vatikans auf den kulturellen Konsum. Der hohe Ausstoß an Nunsploitation-Filmen ist in Zusammenhang mit den sinkenden Zuschauerzahlen in den italienischen Kinos seit den frühen 1960ern zu sehen. Durch spekulative Inhalte und Nacktszenen, wie sie vom damaligen Fernsehen nicht angeboten wurden, hoffte man auf hohe Einnahmen bei vergleichsweise günstigen Produktionsbedingungen. Stilistisch beeinflusst wurden die Nunsploitation-Filme von den italienischen Sexkomödien der 1960er, die teilweise bereits jenes Ambiente von Mittelalter und Renaissance als Hintergrund wählten (z. B. L’armata Brancaleone von Mario Monicelli, 1966), das auch für die Nunsploitation-Filme dominierend sein würde. Außerdem orientierte man sich an der vorhandenen Literatur, vornehmlich an Boccaccio und Aretino. Insgesamt war die Nonne zunächst eher eine Episodenfigur und rückte erst allmählich zur Protagonistin in gänzlich monothematischen Filmen auf. Auch von ihrem Anspruch her seriöse Filme wie The Devils (Ken Russell) oder Il Decameron (Pier Paolo Pasolini) griffen das Thema auf und sorgten für Nachahmer im Trashfilm-Sektor. Schließlich war es auch die Geschichte der unzölibatären, mit einem Mann lebenden und Kinder zeugenden sowie zur Strafe eingemauerten Nonne von Monza, Virginia de Levya, die die Fantasie von Filmemachern beschäftigte, was zunächst zu satirischen (Il monaco di Monza, Sergio Corbucci), dann eher sexuell ausgerichteten und expliziteren Produktionen führte (z. B. La monaca di Monza, Eriprando Visconti).

Stärkt das Begehren den Glauben?

In Paul Verhoevens Benedetta befinden uns in der Toskana, im 17. Jahrhundert. Als die Pest im Land wütet, tritt Benedetta Carlini als Novizin in das Kloster in Pescia ein. Als Äbtissin sehen wir Charlotte Rampling in einers abgeklärten Alterrolle. Bereits in jungen Jahren ist Benedetta Carlini in der Lage, Wunder zu vollbringen. Dieser Umstand wirkt sich unmittelbar und folgenreich auf das Leben in der Gemeinde aus. Das wiederkehrendes Thema ist auch in dieser Version, die Frau, die gegen ihren Willen zur Nonne gemacht wird, zumeist als Strafe für vorherige Verstöße gegen die Moral. Im Kloster wird dann oft der – auch gemeinsamen oder gegenseitigen – Masturbation gefrönt, zwischen den Nonnen entstehen erotische oder sexuelle Bindungen oder Geschlechtsverkehr wird mit einem eingeschmuggelten Mann ausgeführt. Die Übergänge zwischen religiöser und sexueller Ekstase werden als fließend dargestellt. Regelmäßig müssen Sünden bestraft werden, wobei die Nonnen barbusig gepeitscht werden und erneut sexuelle Konnotationen geboten werden. Letztlich müssen die Umtriebe der Nonnen immer wieder von männlichen Kirchenautoritäten, hier verkörpert duch Lambert Wilson, unterbunden werden.

Tabubruch und Transgression

In diesem Film geht es Verhoeven vor um die Abgründe der Religionsgeschichte in den christ­li­chen Ländern Europas. Der überzeugte Atheist vermag immer noch zu provozieren, in einer Szene sehen wir eine Marienstatue, aus der die Novizin Bartolomea  ihrer Geliebten einen Dildo schnitzt. Was würde wohl der Papst davon halten?

 

 

***

Benedetta, von Paul Verhoeven, 2021

Weiterführend →

KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik .

 

 

Trivia: Russland hat den Film über eine lesbische Nonne inzwischen verboten. Begründung: „Benedetta“ verstoße gegen Gesetze zum Schutz der Gläubigen und der Religionsausübung, erklärt das Kulturministerium.