ich liege im bett und weiß, daß alle menschen, die ich kenne, nicht mehr leben, weil eine riesenschlange sie während meines schlafs gefressen hat. einzig regenwürmer existieren noch vereinzelt. ich erschrecke vor meiner einsamkeit und spüre zugleich, wie sich mein körper, von krämpfen ruckweise hin und her geworfen, zu einem regenwurm verwandelt, der sofort in die erde kriecht, wo er die verlorenen menschen sucht. morgens um vier erwache ich, und vor meinen augen drehen sich die gegenstände meines zimmers in spiralen. ich gehe erst einmal minutenlang auf und ab und schalte zur weiteren beruhigung das nachtprogramm des fernsehens ein, wo gerade mehrere sender parallel, aber zeitversetzt, die erste bemannte mondlandung übertragen, ehe ich mich gegen fünf wieder hinlegen kann.
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Traumnotate von Holger Benkel, KUNO, 2022
Die Frage nach der besonderen Kompetenz der Dichter für die Sprache und die Botschaft der Träume wurde durch Siegmund Freud fundamental neu gestellt. Im 21. Jahrhundert ist die Akzeptanz des Träumens und des Tagträumens weitaus größer als noch vor hundert Jahren. Träumen wird nicht mehr nur den Schamanen oder Dichter-Sehern, als bedeutsam zugemessen, sondern praktisch jedermann. Gleichwohl wird den Dichtern noch immer eine ‚eigene‘ Kompetenz auf dem Gebiet des Traums zugesprochen – Freud sah sie sogar als seine Gewährsmänner an, mit Modellanalysen versuchte er diese Kompetenz zu bestätigen. Die Traumnotate von Holger Benkel sind von übernächtigter, schillernd scharfkantiger Komplexität. Hier findet sich eine Bejahung des Dissonanten, Disparaten und Divergenten, eine radikale Affirmation der Vielfalt des träumenden Subjekts. Benkel erweist sich in seinem Werk als Autor des Komplexen, er schafft fruchtbare Irritationen.
Weiterführend →
In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.
Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013
Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014 – Einen Hinweis auf die in der Edition Das Labor erschienen Essays finden Sie hier. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz.
Seelenland, Gedichte von Holger Benkel , Edition Das Labor 2015