Entnichtung. Mir starb der beste Freund, er schaute blind ins Leere zuletzt. Ich spürte, er hörte jedes Wort. Drei Tage vor seinem Tod bewegte er die Lippen tonlos zwei Sätze lang. Der Sterbende ist immer weniger der, der er früher war, er wird uns und sich selbst fremd. Es ist so dunkel. Bevor er schlief, war er nicht gefangen im Verderben schwarz und tief. Zum Tod sage ich ein kleines Ja und ein großes Nein.
In die Tastatur stoße ich meine Stirn und schreibe die Lieder, in denen ich wohne, unter meinen Fingern stirbt der Tod.
Auf der anderen Seite. Ich bin allein in den Dämmerungen. Jede Sekunde ein Schlag, den ich nicht spüre, mein leiser Motor, der den Strom durch alle Äste und Zweige treibt. Nachts aber spielen die Tode, die kleinen und großen Erinnerungen, wie ich ins Licht mich stürze. Ich werde mein Todesurteil nie entziffern, nie verstehen, wenn es so weit ist, ich will zur Ruhe kommen und mir die Freiheit ins Gesicht schreiben.
Die Wolken des Morgens zogen fort, der Himmel warf Schatten. Die Rosen brannten ihr dunkles Rot in meine Augen, Buchsbäume gliederten die Gärten der Stadt. Der Fluss, ja der Fluss, stand still, war ein langer Teich, überall wuchs grauer Sand aus der Tiefe. Drüber schlichen, leise murmelnd, spielende Wellen.
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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.