Die schwarzen Kühe der Nacht

 

Die schwarzen Kühe der Nacht. Als ich ein Kind war, da sangen und sprangen wir in die mit Kreide auf blauen Asphalt gemalten Kästchen zwischen Himmel und Hölle: Kaiser König Edelmann – Bürger Bauer Bettelmann … Hein der Schnitter – Feiner Flitter – Rein und bitter – Kleiner Splitter – Allein ich zitter – Vor Pein und Gewitter – Hein du Schnitter … Ellerli Sellerli Sigerli Sa – Ribedi Rabedi Knoll … Rote Kirschen ess ich gern – Schwarze noch viel lieber –  Auf den Friedhof geh ich gern – Alle Tage wieder – Hier wird Platz gemacht – Für die jungen Damen – Saß ein Kuckuck auf dem Dach – Hat der Regen nass gemacht … Wir haben einen Tod – Der singt so lieblich – Singt sogar – Wie ein Star – Hat gesungen sieben mal sieben Jahr …

Wir wussten nicht, was wir da sangen. Die Worte waren nur ein Spiel, alles war Spiel, Streit und Wiedervertragen, Schmusen und Beten im Bett, auch Traurigsein war ein Spiel, wenn wir es ausdehnten bis zum Genuss, dass wir traurig wurden, wenn wir nicht mehr traurig sein konnten. Die Zeit stand still. Der Tag war Ewigkeit. Ungefärbt war mein Gemüt. Als wir älter wurden, da starben wir zum ersten Mal, und es war uns nur halb bewusst, wie sie den Himmel vor unseren Augen wegzogen.

Ach, dein schweres Herz (so voller Angst) kann keiner wiegen. Wär’ leer dein Herz (um das du bangst), könntest du fliegen.

Ich aber sage mir: Eene meene Mu – Und raus bist du – Raus bist du noch lange nicht – Sag mir erst, wie alt du bist …

Vergängnis. Wohin gehen wir denn? Immer nach Hause, immer nach Hause, sage ich mir. Immer zum Tode, sage ich, immer zum Tode.

 

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.