Ist Kultur verpflichtet, Stellung zu nehmen?
Mein Blick in diesen Tagen: Ich sehe allein das unerträgliche Unglück der Menschen, einiger meiner ukrainischen und auch russischen Freunde, Kinder vor allem, die plötzlich ungreifbare Angst und den zynischen, sich als Schicksal verkleideten Tod (aber er ist ja der eiskalt kalkulierte!, der uns zeigt, wie gut es uns doch geht). Es ist eine Art Gedankensehen, denn ich bin nicht dort, wo das Leiden ist.
Sie, die in einem Albtraum oft ziel- und hoffnungslos unterwegs sind, sind unlösbar hineingeknotet in dieses Geflecht aus pathologischen Grausamkeits-Entscheidungen und grausam-leichtfertigen, sensationsorientierten Medieninformationen, in überheizten Büros von der Selbstgerechtigkeit der „Guten“, diesseits und jenseits definierter Grenzen, praktiziert. Denen es noch allerbestens in den scheindiplomatischen Höhen zu Snacks und doppeltem Espresso geht, noch, noch geht da was! Und alles geht ja woanders weiter, verhandelt wird ja immer woanders, überall immer woanders, jenseits der Glut- und Blutnester in den zerstörten Straßen analoger Wirklichkeiten. Und schon verwehrst Du Dir das Weiterdenken, das geschieht ja nicht nur in der Ukraine, nicht auf militärischen Bedrohungsrouten auf europäischem Terrain. Immer ausgedehnter, ausgeklügelter, unangreifbarer wird die verheerende Gewalt in den Äther formuliert, mit der Löschtaste bestätigt.
Das schafft eine Unwirklichkeit, die nur von Zeit zu Zeit in andere Wirklichkeiten neben Dir einbricht, das macht Dich schon tagsüber und nicht nur in den Träumen zum fremd gewordenen Ichwesen, das wie zufällig und panisch auf schmelzendem Eise umherirrt.
Hätte „man!“ mit einer respektvollen (unexklusiven, uneitlen, pragmatisch ausgerichteten) Diplomatie-Gesprächskultur, die sich allerdings über Jahrzehnte nach festzulegenden Regeln hätte entwickeln müssen, solche tödlichen, solche zynischen Konflikte verhindern können? Hätte.
Wie absurd diese westliche Coaching-Meditations-Gesprächs-Workshop-Kultur-Industrie angesichts dieser labil verklebten, streichholzdünnen entzündlichen Kommunikations-Gerüste der letzten Monate! Da war alles schon ahnbar platziert, als Fatamorgana eines sich anbahnenden Krieges längst präsent. Funktionen und Textbausteine schon an abrufbarer Stelle. Aber die ersten schalen Argumentationssiege brauchten Hochleistungs-Futter. Eiskalte Physiognomien, die vorgaben, sich selbst ernst zu nehmen (wie täuschend!). selbstherrliche Siegerdrohungen, nur von den mal blutigen, mal blütigen Wirtschaftslieben- und hieben in Gipfelstimmung vag zusammengepappt und ins Eigengesetzliche sich hochschaukelnder Aggressionsstimmungen geschickt. Um wenig später regellos zerhackt zu werden.
Die Verteidigungsgrenzen eines starren Demokratiekonstruktes – eng verschweißt mit ins Endlose wachsenden Wohlstandbildern – markierten, marginalisierten die ersten Toten. Fassungslosigkeit, demokratisch noch einmal gerechtfertigt. Wie beschämend, erst angedroht, dann angewandt: Wirtschaftssanktionen als nicht selten hilflos-kindische Erpresser-Botschaften der Geschichte.
Deren Opfer wieder nicht die Verursacher sind.
Da herrschen Geld, Gier, Macht und als 4. Element dieser Logistik der Vernichtungswille: als Gewaltmonopole von zerstörerischen Selbstgefälligkeits-Gebärden, die die Welt hierhin und dahin lenken und treiben. Da stehen in der ersten Hier-bin-ich-Reihe moralstolze, beifallgierige, im schlimmsten Inkognito-Fall gekaufte und korrumpierte Politiker, Lobby-Wirtschaftler- und Medienstars, gleich dahinter nachhaltig zynische Produzenten von globalen Ungerechtigkeiten in der Arbeits- und Konsumwelt. Ihre hochdotierten Jobs: Menschenhandel, Naturvergiftung und Tierquälerei, die vor den politischen Gesetzen geschützt bleiben. Hier ist mein bis hierhin zurückgelegte Gedankenweg schon anzuzweifeln und – utopisch.
Kultur, sagst Du, ist verpflichtet, Stellung zu nehmen. Schafft es aber selten bis zum Ziel einer gelungenen Veränderung. Kultur versagt angesichts der Unberechenbarkeit so vieler komplexer Monopolisten- und Lobbyisten-Interessen auf allen Ebenen: Die mentale, menschliche, ethische und geografische Grenzen überrennen, die die Würde des Lebendigen mehr als nur mit Füßen treten. Die buchstäblich über Leiden und dann über Leichen marschieren. Und wieder sind die Opfer nicht die Verursacher und zumeist auch die befehlsgeprägten Marschierer nicht.
Information ist weder „wahrhaftig“ noch ist sie gesichert verifizierbar. Sie ist wie die Wahrheit von den Aussichtsorten und Umständen des Betroffenseins abhängig und bleibt ein Prozess. Doch ist sie zum von jedermann fixierbaren Konsumobjekt in einem auch noch „sozial“ genannten Medien-Angebots-Markt geworden. Informationen haften an ihren Umständen und Umfeldern, an ihren Findern und Erfindern, Formulierern und Wahrheitsdeutern. Sie zielen auf deren unberechenbare, machtgeleiteten Zusammenstöße. Die Wirkungen gelangen oft zufällig bis willkürlich bis an die Ränder missverstandener Aufforderungen zu den sozialen Frieden gefährdenden, die menschliche Würde negierenden, die menschliche, kreatürliche Würde vernichtenden Reaktionen und Sanktionen, Hin zur physischen Gewalt, ausgeübt an jenen, die: wieder nicht zu den Entscheidern und Verursachern gehören.
Sprache im politischen Kosmos kann eine Form von Gewalt sein. Sie hat großen Anteil an der jetzigen Katastrophe wie an allen von Menschen gemachten Katastrophen. Fatal ist nur, dass sie – umgekehrt – höchst selten als Wiedergutmacherin agieren kann. Als selbstgerecht handelnde, in der Regel ideologisch gebriefte oder eindimensional geschulte Provokateurin blickt sie verwundert oder triumphierend auf die von ihr verursachten Konflikte und Verwüstungen.
Sollte sich nicht jeder „Informations-Macher „an seine Berufs-Ethik und vor allem an seine Vermittler-Verantwortung erinnern? In den sog. sozialen Medien droht ein Parallelkrieg fehl verstandener Wahrheitsdominanzen jenseits von Logik und Empathie. Die Empathie, als Passwort für Achtsamkeitsworkshops leider etwas abgegriffen – (und dennoch bestehe ich auf diesem Wort!) – steht am Ende dieser Gedanken. Sie vermag zu berühren oder zu verändern. Wenn auch „nur“ zwischenmenschlich und auf kommunikativ-überschaubaren Inseln. Sie ist weder empfehlfähig noch lern- aber erinnerbar.
Ich gebe zu, das waren wieder Worte, die in die panische Angstleere ratlos verzweifelter Menschen münden. Jeder Tod ist ein Tod zu viel und jeder Gewaltakt ein Verbrechen gegen jeden Blicktausch, gegen jede Antastung und Berührung, gegen alles Dusagen. Derzeit „laufen“ Verhandlungen zwischen den feindlichen Parteien in beheizten Luxus-Büros zu Snacks und doppelten Espressi – während – wieder hunderte von Nichtentscheidern und Nichtverursachern verstört und vernichtet werden. Menschen, die einander soeben angeschaut, berührt, bei ihrem Namen gerufen haben.
Wie unbeschreiblich und unsagbar schwer wiegt eine Verantwortung, die sich das traut, mit dem Leichtgewicht skrupelloser, alle Menschlichkeit zersetzender Dummheit auf weltmännischer Bühne zu agieren, zu konkurrieren.
Weiterführend →
Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd